Sammelrezension: Monströses im Film
Steven Gerrard: The Modern British Horror Film
New Brunswick: Rutgers University Press 2018 (Quick takes), 184 S., ISBN 978-0-8135-7944-3, USD 17,95
Barry Keith Grant: Monster Cinema
New Brunswick: Rutgers University Press 2018 (Quick takes), 147 S., ISBN 978-0-8135-8880-3, USD 17,95
Aktuell scheinen sich akademische ,kurz und knapp‘-Werke vor allem im Bereich der Filmwissenschaft einer gewissen Beliebtheit zu erfreuen – und das obwohl spirituelle Vorläufer wie die BFI Film Classics Reihe bereits seit über 25 Jahren den Markt bedienen. Mit Quick Takes: Movies & Popular Culture stieg Rutgers University Press 2017 ebenfalls in das Geschäft ein und produzierte bisher zwölf Bände mit kurzen Einführungen in jeweils ein spezifisches Subgenre der populären Filmkultur.
Darunter fallen so eigenständige und innovative Beiträge wie Disney Culture (2017) von John Wills oder New African Cinema (2017) von Valérie K. Orlando, aber auch Werke, die altbekanntes Gebiet neu abzustecken versuchen, wie Zombie Cinema (2017) von Ian Olney oder Comic Book Movies (2018) von Blair Davis. Wie sich anhand der Titel hier schon erkennen lässt, möchten die Bände beliebte Teilgebiete der Filmwissenschaft erschließen, die zwar eng abgegrenzt sind, denen aber dennoch ein relativ großer Kanon an Filmtexten zu Grunde liegt. Im Gegensatz zu Reihen wie BFI Film Classics (Bloomsbury) oder Cultographies (Wallflower Press), die sich jeweils auf nur einen Filmtext konzentrieren, muss ein Quick Takes-Band somit unweigerlich zum Balance-Akt werden. Eine reine Listung und kurze Beschreibung der Filme des Genres wäre wissenschaftlich banal und unbefriedigend, aber eine detaillierte und auf zu wenige Beispiele zugespitzte Diskussion würde dem Subgenre in seiner Vielfalt nicht mehr gerecht.
Die beiden zur Rezension vorliegenden Bände der Reihe, Barry Keith Grants Monster Cinema und Steven Gerrards The Modern British Horror Film, könnten in dieser Hinsicht kaum unterschiedlicher aufgebaut sein. Thematisch gelingt es Grant in seinem kürzeren Band überzeugend, über 100 Jahre Monsterfilm-Geschichte abzudecken und diese mit reichlichen Beispielen zu unterfüttern. Gerrard hingegen braucht knapp 30 Seiten mehr für sein sehr eng gestecktes Feld des modernen (sprich: seit der Jahrtausendwende) britischen Horrorfilms und reduziert diesen, nicht immer gut gelungen, auf je drei Beispiele in drei Sparten. Damit zeigen beide Bücher im Zusammenspiel, wie schwierig die Gesamtherausgabe der Reihe gestaltet ist und dass von den Herausgebenden, Gwendolyn Audrey Foster und Wheeler Winston Dixon, augenscheinlich zu wenig Wert auf Form und Kohärenz der Bände gelegt wurde.
Steven Gerrard beginnt seine Ausführungen in The Modern British Horror Filmmit einem historischen Abriss der Horrorfilm-Tradition und konzentriert sich dann vor allem auf die für die britische Filmproduktion wichtige Rolle der Hammer Film Studios. Seine zentrale These ist dabei, dass mit dem Untergang von Hammer in den 1980er Jahren der britische Horrorfilm nahezu verschwunden sei (S.10) und erst mit dem neuen Jahrtausend wieder an Fahrt gewinnen konnte. Das Revival des Horrorfilms in Großbritannien sei aber dezidiert nicht an Hammers exaltiertem Stil ausgerichtet, sondern am realistischen, sozialkritischen Film, an „‘Terror Films,‘ in which mundanities of the real world revealed the true horror of British society“ (S.14). Im weiteren Verlauf seines Buches greift Gerrard diesen Realweltbezug in drei Kapiteln wieder auf, die jeweils einen spezifischen Diskurs des britischen Horrorfilms einzuordnen versuchen. Im ersten Kapitel erläutert er den sogenannten „hoodie horror“ (S.30), eine Gesellschaftskritik basierend auf einer von konservativen Politiker_innen und den Mainstream-Medien zur Bedrohung stilisierten urbanen Jugendkultur. Der Hoodie, gleichzeitig Begriff für den Jugendlichen und das Kleidungsstück, werde in diesen Filmen zum „signifier of moral decline, ASBO culture and a general social downward turn“ (Matthew Turner, zit. in Gerrard S.31) und damit zum Auslöser des Horrors. Im zweiten Kapitel wiederum nähert sich Gerrard der Natur, speziell der britischen Landschaft und der mit ihr verbundenen Verklärung, die im Horrorfilm zum Ursprung der Bedrohung wird. Das dritte Kapitel schließlich widmet sich dem typischen Horrormotiv des Monsters in drei verschiedenen Ausprägungen: dem Geist, dem Zombie und den Psychopath_innen beziehungsweise Kannibal_innen. Für jedes Kapitel ruft Gerrard zwar eine Reihe von Filmbeispielen kurz auf, konzentriert seine analytischen Ausführungen aber auf je drei konkrete Beispiele. Damit verengt er jedoch die Aussagen zur Wirksamkeit der Motive und zeigt in der eigenen subjektiven Auswahl bereits auf, wie begrenzt seine Kategorisierung ist. So spielt The Triangle (2005) vornehmlich auf einem Kreuzfahrtschiff auf offener See und kann wohl kaum als typisches Beispiel der „Great Outdoors“ (S.63) Großbritanniens gesehen werden. Und auch Eden Lake (2008) ist mit seinem Setting in einem idyllischen Ferienort nicht allzu typisch für die urbanen Jugendbanden der Hoodies, sondern variiert gerade das Klischee, um daraus Spannung zu erzeugen. Dass es Gerrard nicht unbedingt mit sicherer Hand gelingt, die das jeweilige Subgenre verbindenden Motive und die analytischen Bezugspunkte der Filme aufzuzeigen, mag auch an seinem Schreibstil liegen. Dieser erinnert eher an Feuilleton und ergeht sich etwa in oberflächlichen Details zur Besetzung, Produktionsgeschichte und Rezeption in der Presse. Die wesentlichen filmwissenschaftlichen Analysen sind meist zu kurz und nicht detailreich genug, die zusätzlich gelieferten Informationen etwa zu Reaktionen einzelner Blogger hingegen bergen keinen Erkenntnisgewinn, da sie eher anekdotisch wirken. Insgesamt zielt der Band damit eher auf ein interessiertes Laienpublikum und ist so nur begrenzt für den Einsatz im wissenschaftlichen Kontext geeignet.
Im Gegensatz dazu liefert Barry Keith Grant einen überaus konzisen Überblick über das weite Feld des Monster Cinema, geschrieben in präziser Prosa, die sich nur auf das Wesentliche konzentriert. Auch Grant beginnt seine Ausführungen mit einer historischen Verortung des Monsters in der Filmgeschichte, stellt dieser aber zusätzlich einen Abriss der wissenschaftlichen Beschäftigung bei, aus der er seine spätere Kategorisierung ableitet. So argumentiert Grant, dass das Feld die Filme vor allem nach der Art des Monsters unterscheide und somit verschiedene Taxonomien aufweise, wobei sich Grant der Aufteilung in „human, natural, or supernatural“ (S.30) bedient. Jedes dieser Kapitel wird dann wiederum bezogen auf einzelne verbindende Motive weiter unterteilt und in seinen generischen Bezügen analysiert. So interpretiert Grant das Monster ,Mensch‘ unter anderem mittels körperlicher Entstellungen („Monstrous Bodies“, S.35) und unter Bezug auf Klassiker wie Freaks (1932) und The Elephant Man (1980), aber auch bezogen auf neuere und unbekanntere Produktionen wie InAlienable (2008) und Tusk (2014). Weitere Analysen finden sich zu Forbidden Planet (1956) mit Bezug auf „Monstrous Minds“ (S.45), zur Sonderstellung von Psycho (1960) als das Genre neu definierend (S.50), zum Slasher-Film und dem Erotikthriller wie etwa Fatal Attraction (1987) mit seinem Sexualität sublimierendem Horror („Monstrous Sex“, S.55). Ähnlich ausführlich und überblicksreich sind die Kapitel zu natürlichen Monstern, mit Unterkapiteln etwa zu Pflanzen und Tieren, Radioaktivität, Mikrobiologie, mechanisch erschaffenen und von fremden Welten stammenden sowie übernatürlichen Monstern. Deren Unterkapitel widmen sich vor allen den Klassikern: Vampiren, Geistern, Zombies, Dämonen, sowie verfluchten Objekten wie Häusern und Medien. Was Grants Ausführungen aber, im Gegensatz zu Gerrards, auszeichnet, ist sein Gespür für die Beziehungen der Motive und Filme untereinander sowie für die Verbindungen und historischen Entwicklungen, die das Genre durchläuft. Seine Analysen sind sauber gearbeitet und zeigen dem Zielpublikum – das klar studentisch, wissenschaftlich ausgerichtet ist – welches kulturelle Potential in den Filmen steckt und welche gesellschaftliche Bedeutung in ihnen zu lesen ist. Damit ist Monster Cinema für den Einsatz in der Medienwissenschaft eindeutig zu empfehlen, zeigt aber auch, dass die Qualität einer Reihe eben nicht zwangsweise durch die Herausgeberschaft garantiert wird und somit jeder Eintrag einzeln bewertet werden muss.
Im Original erschienen in MEDIENwissenschaft 1 (2019) – Link
“Sammelrezension: Monströses im Film.” MEDIENwissenschaft 1 (2019): 85-87.