Review: Ernest Mathijs und Jamie Sexton (Hg.): The Routledge Companion to Cult Cinema
Ernest Mathijs und Jamie Sexton müssen mit Recht zu den wohl prägendsten Stimmen der aktuellen Filmforschung insgesamt, zum Thema Cult Cinema aber im Besonderen gezählt werden. Für die 48 Kapitel des Routledge Companion to Cult Cinema haben sie sowohl das Feld bestimmende Forscher_innen wie etwa Matt Hills oder Jenna Ng gewinnen können, als auch jungen Kolleg_innen die Chance gegeben, neue und wichtige Impulse einzubringen. Damit steht der Companion als eine zentrale Quelle für weitere Forschungen zur Verfügung, die alle zukünftigen Beschäftigungen mit dem Thema prägen wird.
Die eigene Forschungsleistung, die Mathijs und Sexton in den Band destilliert haben, sollte nicht unterschätzt werden, denn es sind die Herausgeber_innen eines Companion, die vor der Herausforderung stehen, ein sehr spezielles und doch weitreichendes Forschungsinteresse so darzulegen, dass daraus ein für die Lehre und Grundlagenforschung geeignetes Handbuch wird. Cult Cinema ist ein Forschungsbereich, der einerseits nur einen sehr kleinen Teilbereich der Filmwissenschaft anspricht und dazu noch mit Vorurteilen über dessen Relevanz und Qualität beladen ist. Entsprechend werden sowohl Herausgeber als auch Autor_innen nicht müde zu betonen, dass „solid tactics of investigation“ (S.5) notwendig sind, um die Kritiker_innen auf Distanz zu halten. Hinzu kommt, dass es auf der inhaltlichen Ebene nur wenig Einigkeit darüber gibt, was eigentlich als Kult zu gelten hat, wie Mathijs und Sexton einräumen, wenn sie von der „fugitive nature of cult cinema“ (S.3) sprechen und selbst unumstrittenen Bereichen der Forschung wie etwa der Fankulturen oder der Transgression des Cult Cinema einen „tone of contestation“ (S.4) attestieren. Die Aufgabe der Herausgeber ist also, einen flüchtigen Gegenstand zumindest für eine Zeit so festzuhalten, dass es Leser_innen gelingen kann, sich ein erstes und fundiertes Bild zu machen.
Andererseits berührt der Bereich des Cult Cinema aber eine Vielzahl verschiedener methodischer Ansätze und fachdisziplinärer Überlegungen, so dass ein Handbuch immer auch über die Auswahl der Kapitel und die vertretenen Perspektiven Einschränkungen vornehmen muss. Die Herausgeber haben sich entsprechend dazu entschieden eine Gratwanderung zu betreiben und sowohl breite Überblickskapitel wie etwa Mark Boulds „Cult Science Fiction Cinema“ oder Carter Moultons „Midnight Movies“ zu liefern, als auch die im Bereich deutlich hervortretenden Priorisierungen zu hinterfragen. So wird Cult Cinema in der Forschung oftmals zuerst als historisches Phänomen begriffen, was der Companion durch Kapitel zu neuen digitalen Technologien wie Ian Robert Smiths „Cult Cinema in the Digital Age“ oder Jenna Ngs „The Cut Between Us: Digital Remix and the Expression of Self“ ausgeglichen wird. Darüber hinaus wird das Cult Cinema, in Werken, Publikum aber auch Forschung als vornehmlich anglo-amerikanisch zentriert und männlich wahrgenommen – beides wird von den Herausgebern dezidiert adressiert und durch spezielle Kapitel ausbalanciert. So gibt es einen ganzen Abschnitt zu „Global und Local Cult Cinema“ mit Essays über beispielsweise Lateinamerika, den Iran, Indien oder Ostasien. Die Gender-Perspektive wiederum greift der Band nicht in einem Teilbereich auf, sondern durch verschiedene Kapitel: So schreibt Brenda Austin-Smith über „Cult Cinema and Gender“ im Abschnitt über kritisch-theoretische Konzepte oder Amanda Ann Klein im Abschnitt über Fandom eine Analyse weiblicher Fankulturen am Beispiel des Films Magic Mike XXL (2015). Auch in den Fallstudien, die das Buch abrunden, finden sich Beispiele dieses Blicks jenseits der Stereotype, etwa durch Kapitel über Roberta Findlay oder Alejandro Jodorowsky, Judy Garland oder Klaus Kinski.
Insgesamt bietet der Band also eine vielseitige und umfangreiche Betrachtung eines unterrepräsentierten Forschungsbereichs, die vor allem auch bei Studierenden auf Interesse stoßen dürfte, wenn sie denn den Weg in die Curricula von Amerikanistik oder Medienwissenschaft finden würde. Mathijs und Sexton haben mit ihrer Arbeit – der Auswahl Grundlagen verschaffender wie innovativer Ansätze, der Zusammenstellung wichtiger Blickwinkel zu einem facettenreichen Ganzen – ein Handbuch geschaffen, das ideal ist für den Unterricht und die Einführung in Filmindustrie und Kulturrezeption. Aber da scheint wieder die oben angesprochene Schizophrenie durch, denn dank eines Preises von aktuell 175 Euro für das Hardcover werden selbst Bibliotheken vor dem Kauf zurückschrecken, wenn es nicht Lehrende gibt, die darauf bestehen. Individuelle Leser_innen, insbesondere aus der Studierendenschaft, wird es so wohl kaum geben. Und da institutionelle Zugriffe zumeist auf das sehr unkomfortable und nur mit ständigem VPN-Zugriff zu nutzende VitalShelf-eBook-System von Routledge verweisen, das wirklich dringend überholt oder abgeschafft werden müsste, wird dieses Handbuch leider ein randständisches Dasein fristen, auch wenn es anderes verdient hätte.
Im Original erschienen in der MEDIENwissenschaft Rezensionen:
Schmeink, Lars. “Ernest Mathijs und Jamie Sexton (Hg.): The Routledge Companion to Cult Cinema,” MEDIENwissenschaft Rezensionen, vol. 37, no. 4, 2020, pp. 419–20. doi: https://doi.org/10.25969/mediarep/15417