Es scheint eine Wahrheit des 21. Jahrhunderts zu sein, dass der Zombie – pardon the pun – einfach nicht tot zu kriegen ist. Seine Präsenz ist seit dem Jahrtausendwechsel allgegenwärtig, und es dürfte kaum einen Bereich der populären Kultur geben, in der er nicht wiederzufinden ist. Tatsächlich beginnt auch Sarah Juliet Lauro die Einleitung ihres aktuellen Sammelbands Zombie Theory: A Reader mit einer Aufzählung skurriler Beispiele: zombiehafte Vorgarten-Dekorationen, Anti-Zombie Desinfektionsmittel oder Zombie-Parfum (vgl. S.vii).

Zombie Theory ist kein weiterer Sammelband, der mehrere Essays zu immer neuen Auswüchsen des Zombie-Hypes liefert und so den „boom in zombie scholarship“ (S.xii) befördert. Geplant war der Band ursprünglich, so Lauro, als Ansammlung der wichtigsten Arbeiten zum Thema ‚Zombie‘, eine Art Handbuch für Forscher_innen, die sich dem Monster zuwenden wollten; doch die Variabilität des Objekts macht einen umfassenden Blick auf alle Bereiche unmöglich: „the field of zombie scholarship is scattered across a wide reef“ (S.xiii). Der Zombie sei geprägt von „semiotic ‚prolixity’“ (S.ix) und verkörpere idealtypisch eine monsterhafte Existenz: „border crashers by nature, hybrids that ‚seldom can be contained in a simple, binary dialectic’“ (S.ix). Zombies seien repräsentativ für Kolonialismus und Sklaverei, die Ängste vor einer globalen Epidemie, rassistische Befürchtungen von Korruption in der Dritten Welt, unaufhaltsamen Konsum im US-amerikanischen Kapitalismus, die Entmenschlichung in der technologisierten Welt oder auch die „poor work ethic of a slacker employee in a fast-food joint“ (S.ix). Die Anzahl der Zombie-Produkte, deren Bedeutungen und eben auch deren wissenschaftlicher Aufarbeitung ist riesig, und ein Handbuch der Zombie Studies, wenn man diesem Studienzweig einen Namen geben will, wäre schnell überfordert oder mehrbändig.

Doch es ist gerade die Varianz der Bedeutungen, die dem Zombie zugeschrieben werden, die im vorliegenden Band zu einer produktiven Gruppierung und Eingrenzung der Beiträge führt – Zombies eignen sich besonders gut als Objekte der theoretischen Reflexion, wie Lauro feststellt , denn mit ihnen lassen sich Dinge neu durchdenken (vgl. S.xx). Hier setzt sodann der Band an: „presenting the zombie not merely as a monster, but as a mode for theoretical work itself“ (S.xx); Zombies sind in ihrer Funktion als Chiffre also dazu geeignet, die großen Themen der Menschheit in neuem Licht erscheinen zu lassen (vgl. S.xxf.).

Wie für einen ,Reader‘ üblich sind die 23 Essays im Band bereits in anderen Publikationen erschienen, hier aber thematisch gesammelt und in sinnvollen Kategorien spezifischen Gebieten zugeordnet. So vereint „Old Schools: Classic Zombies“ traditionelle beziehungsweise ältere Zombiebilder und enthält etwa Auseinandersetzungen mit dem Ur-Zombie als Aspekt von Folklore und Kolonialismus, wie den hervorragenden Essay von Elizabeth McAlister, „Slaves, Cannibals and Infected Hyper-Whites“, aber auch etwa Steven Shaviros fundamentale Diskussion des Romero-Zombies aus The Cinematic Body (Minneapolis: University of Minnesota Press, 1993). In „Capitalist Monsters“ finden sich fünf Essays zur wohl bekanntesten Lesart des Zombies als Ausdruck einer kapitalistischen Konsumkritik, wobei hier vor allem der Essay von Sherryl Vint hervorzuheben ist, der nicht klassisch die Romero-Verfilmungen sondern aktuelle Produktionen wie The Walking Dead (2010-) oder Zombieland (2009) zum Ausgangspunkt der Diskussion macht. Im dritten Teil, „Zombies and Other(ed) People“ finden sich Auseinandersetzungen mit Unterdrückung und Entmenschlichung in Zombie-Narrativen. Dabei sind eher bekannte Konzepte wie race oder gender ebenso vertreten wie otherness in den Zuschreibungen von queer oder disabled. Besonders hervorzuheben ist Jon Strattons Abhandlung über Zombies als Repräsentation von Geflüchteten im Kontext von Giorgio Agambens Homo Sacer: Sovereign Power and Bare Life (Stanford: Stanford UP, 1998). Der vierte Abschnitt des Bandes beschäftigt sich weniger mit Zombie-Narrativen als mit kulturellen Praktiken und versammelt Diskussionen zu Zombie-Walks im Kontext öffentlicher Proteste oder polizeilicher Kontrollmaßnahmen. Tavia Nyong’os Analyse der Occupy-Bewegung und deren Einsatz von Zombie-Praktiken ist hier eine interessante Anwendung im Kontext tagespolitischer Ereignisse. Im letzten Abschnitt geht es um „New Life for the Undead“ und damit eine Konzeption des Zombies im Rahmen aktueller und neuerer Theorien, wie etwa der der Bio- beziehungsweise Nekropolitik oder auch des Posthumanismus. Gerade in diesem letzten Abschnitt finden sich die vielleicht radikalsten Ansätze, die am vollwertigsten den Anspruch einer ‚Zombie Theory‘ entsprechen. So findet sich hier Jeffrey Jerome Cohens „Grey: A Zombie Ecology“, in dem Cohen ein Plädoyer gegen den Anthropozentrismus hält und diesem eine Form des Materialismus entgegenhält, die er „zombie-oriented ontology“ (S.355) nennt und der das Verhältnis von Körper, Konsum und Kapitalismus neu denkt. Lauro selbst, zusammen mit Karen Embry, ist in diesem Abschnitt mit ihrem „Zombie Manifesto“ vertreten, das in Anlehnung an Donna Haraway und deren berühmtes „A Cyborg Manifesto: Science, Technology, and Socialist-Feminism in the Late Twentieth Century“ (In: Simians, Cyborgs, and Women: The Reinvention of Nature. New York: Routledge, 1991, S.149-181) eine neue Subjekttheorie erarbeitet und im Zombie eine Verweigerung jeglicher humanistischer Konstruktionen von Subjekthaftigkeit liest. Der Zombie, so Embry und Lauro, sei damit die ideale Metapher für ein neues posthumanistisches Denken (vgl. S.395). Es gibt also gleich mehrere Gründe, sich für Zombie Theory zu entscheiden. Zum einen ist die Sammlung ein ideales Grundwerk, auf dem sich Seminare aufbauen lassen oder aus dem frei für Unterricht und Forschung wichtige Bezugspunkte der Zombie Studies herausgegriffen werden können. Darüber hinaus ist die Zusammenstellung provokativ, indem sie den Zombie als theoretische Figur greift und so ein oftmals als banal abgetanes Konstrukt der populären Kultur für kritische Auseinandersetzungen fruchtbar macht. Der Zombie, das belegt dieser Band eindrucksvoll, ist eine der wichtigsten Figuren und Metaphern, mit denen wir unsere komplexe Welt beschreiben können.

Sarah Juliet Lauro (Hg.): Zombie Theory: A Reader

Minneapolis: University of Minnesota Press 2017, 473 S., ISBN 9781517900915, GBP 25,99


Im Original erschienen in MEDIENwissenschaft.

“Sarah Juliet Lauro (Hg.): Zombie Theory: A Reader.” MEDIENwissenschaft 2/3 (2018): 181-83.

Hier der Download als PDF >>> Schmeink Lars – Review Zombie Theory