Angesichts der Diskussionen um immer weiter steigende Preise für wissenschaftliche Publikationen, bei gleichzeitig sinkenden Ausgabenbudgets in Bibliotheken, ist es äußerst erfreulich, dass mit Film Theory in Practice beim amerikanischen Ableger von Bloomsbury Academic jetzt eine Sammlung interessanter Case Studies erscheint, die ideal für den Einsatz in Seminaren geeignet ist und die mit unter $20 pro Buch durchaus kostengünstig zu haben sind.

Serienherausgeber Todd McGowan, Associate Professor of Film an der University of Vermont, möchte mit den Werken ein „gaping hole“ in der „world of film theory“ füllen (wie die Homepage des Publishers verkündet; Bloomsbury). Jedes Buch verbindet in prägnanter Weise einen Theorieansatz (von Auteur bis Queer, von Postmodern bis Postcolonial) mit jeweils einem Film und ermöglicht Leser_innen so zugleich eine Einführung in die jeweilige Theorie und ein Anwendungsbeispiel. In den drei Büchern, die zur Rezension vorlagen etwa wurde Narratologie am Beispiel von Spike Jonzes Film Adaptation vorgestellt, ein postmoderner Ansatz an Ridley Scotts Blade Runner aufgezeigt und eine Einführung in die Queer Theory am Beispiel von Ang Lees Brokeback Mountain erarbeitet. Bislang sind 7 weitere Werke in der Reihe erschienen.

Der große Vorteil des Ansatzes „a single theory and a single film“ (Bloomsbury) ist, dass die Bände ohne Vorwissen rezipiert werden können und somit Leser_innen dort abholen wo diese gerade stehen. Einzig das Interesse am Thema zählt und Barrieren wie ein vorliegender wissenschaftlicher Diskurs oder ein spezialisiertes Filmwissen sind nicht notwendig, wie Matthew Tinkcom in seinem Buch erklärt: „the sole preparation needed to learn from this book is an interest in understanding how the more general concepts of queer theory have established important ideas“ (S. 3). Entsprechend folgt die Struktur der Bücher auch der Logik eines Lernszenarios: nach einer generellen Einführung, die Aufgaben und Ziele des jeweiligen Buches erläutert, folgt ein Kapitel zur jeweiligen Theoriegrundlage. Dabei achten alle Autoren darauf, die wesentlichen Aspekte und historischen Entwicklungen einer Theorie darzulegen, wichtige Fachtermini zu erläutern und erste Bezüge zur späteren Werkanalyse aufzuzeigen. Matthew Flisfeder beispielsweise stellt seiner Analyse eine historische Herleitung vom Modernismus voraus, um so immer wieder die Bezüge postmoderner Kritiken auf die Moderne aufzuzeigen. Tinkcom wiederum verweist deutlich auf die interdisziplinäre Natur der Queer Theory und deren Einbettung in politischen und sozialen Aktivismus, um so die kulturelle Relevanz der Theorie zu untermauern. Und Jason Mittell greift bis zu den griechischen Wurzeln der Narratologie, um deren Integration in die westliche Kultur zu verdeutlichen.

Anschließend an die Theoriekapitel folgt in jedem der Werke das entsprechende Analyse-Kapitel, in dem Aspekt um Aspekt die entsprechende Theorie auf die jeweiligen Filme übertragen wird. Auch hier richten sich die Bücher an Leser_innen ohne Vorwissen, verzichten auf Querbezüge zu wissenschaftlichen Sekundärwerken und anderen Lesarten, um sich voll und ganz auf die Umsetzung einer Lesart zu konzentrieren. Bei einem Film wie Blade Runner, zu dem es eine Vielzahl von Interpretationen gibt und zahlreiche eigenständige Fallstudien vorhanden sind, wirkt das im ersten Moment fragwürdig, ermöglicht aber eine Konzentration auf die vorgebrachte Theorie. Die vorliegenden Bücher sind beabsichtig um alle zu stark in Spezialwissen verankerten Diskurse bereinigt und fokussieren die Einführung in eine einzelne Theorie. Dabei sind sich die Autoren allesamt der Begrenzung dieses Ansatzes bewusst und verweisen ausgleichend an einigen Stellen auf mögliche Auslassungen in der Interpretation oder auf die einschränkende Konzentration auf nur einen Film. Flisfeder etwa greift auf das Star Wars-Franchise als Komplementärbeispiel zurück (S. 90-91), wenn er über digitale Bearbeitungen und die fehlende historische Authentizität des Originals spricht. Blade Runner ist aufgrund der verschiedenen Schnittversionen ebenso ein Beispiel für dieses Verfahren, aber weit weniger plakativ und daher für eine Einführung weniger greifbar. Mittell wiederum liefert einen Ausblick auf Überschneidungen mit anderen Theorien und verweist auf Bezüge zu „ideology theory“ (S. 124), „psychoanalytic film theory“ (S. 126), „feminist film theory“ (S. 127) und „critical race theory“ (S. 129), die in der Narratologie-Lesart des Films zwangsweise eine Auslassung erfahren. Und Tinkcom wiederum warnt bereits in der Einleitung, dass Brokeback Mountain eine spezifische Queer-Erfahrung in den Mittelpunkt stelle, deren „white and male-centric nature“ (S. 18) weibliche Erfahrung marginalisiert und in Queer Theory wichtigen Schnittpunkte zu „critiques of race and racism“ (S. 19) ignoriert.

Als Begründung, warum dennoch nur ein einzelner Film ausgewählt wurde und wie diese Wahl motiviert ist, muss wiederum das Zielpublikum betrachtet werden. Um eine wissenschaftliche Theorie (oder wohlmöglich alle Facetten eines interdisziplinären Diskurses wie der Queer Theory) in seiner ganzen Vielfalt darzustellen greifen Handbücher oftmals auf eine große Breite an Filmwissen zurück, was aber für interessierte Leser_innen eine nicht unerhebliche Barriere darstellen kann. Um postmodernes Kino zu erklären bedarf es dann eines Hintergrunds in Production Code Hollywood, den Veränderungen des Filmemachens in New Hollywood, der europäischen Auteur-Tradition und natürlich aktuellen Entwicklungen eines globalen Kinos – das sind aber Anforderungen, die außerhalb der Filmwissenschaft für viele Leser_innen nicht erfüllbar sind. Film Theory in Practice wählt deswegen jeweils einen Film für die entsprechende Theorie, der sich durch eine besondere Popularität auszeichnet: sei es, dass er viel und oft diskutiert wurde (Blade Runner), deutlich einen Diskurs in der Öffentlichkeit angestoßen hat (Brokeback Mountain als „gay cowboy movie“, S. 2), oder weil besonders anerkannte Filmgrößen mitgewirkt haben (wie Spike Jonze als Regisseur von Adaptation). Am wichtigsten aber scheint als Kriterium, dass die Filme besonders gut zugänglich sind und somit relativ leicht individuell oder für den Unterricht angeschafft werden können.

Zusammenfassend kann man Film Theory in Practice wärmstens all denjenigen empfehlen, die eine leicht verständlich, äußerst effektive, durchweg interessant geschriebene und vor allem inhaltlich erhellende Einführung in filmtheoretische Themen sucht. Die Konzentration der Reihe auf einen Film und eine Theorie je Band ist zwar nicht ohne zumindest kleinere Probleme, doch diese werden gut adressiert und können so ausgeglichen werde. Gerade für Studierenden, also entsprechend zur Nutzung im Unterricht bei Einführungen in Film oder in spezifischen Seminaren zu Theorieansätzen, bieten die Bücher eine preisgünstige und gut geschriebene Erstlektüre – sehr zu empfehlen.

Zitierte Werke
Bloomsbury. „Film Theory in Practice“. Web. Abgerufen 31.05.2018. https://www.bloomsbury.com/us/series/film-theory-in-practice/

Matthew Tinkcom. Queer Theory and Brokeback Mountain.

New York: Bloomsbury Academic 2017, 125 S., ISBN 978-1501318825, $19,95

Matthew Flisfeder. Postmodern Theory and Blade Runner.

New York: Bloomsbury Academic 2017, 175 S., ISBN 978-1501311796, $19,95

Jason Mittell. Narrative Theory and Adaptation.

New York: Bloomsbury Academic 2017, 145 S., ISBN 978-1501308406, $19,95


Im Original erschienen in MEDIENwissenschaft.

“Reihenrezension: Film Theory in Practice.” MEDIENwissenschaft 2/3 (2018): 284-87.

Hier der Download als PDF >>> Schmeink Lars – Review Film Theory in Practice