Kompressor Deluxe – Cyberpunk
Interview mit Gesa Ufer vom Deutschlandfunk Kultur anlässlich des Cyberpunk-Jahres 2019 und der Veröffentlichung des Routledge Companion to Cyberpunk Culture.
Der Science-Fiction-Film „Blade Runner“ spielt im Jahr 2019. Die Utopie von menschenähnlichen Robotern hat sich noch nicht bewahrheitet, aber einige Cyberpunk-Szenarien sind oder werden bereits Realität.
Ständige Nacht, Dauerregen, abgründige Straßenschluchten, Chrom und Neon, ausdruckslose desillusionierte Gesichter: Das ist die Welt von 2019 im Film „Blade Runner“. Kein Science-Fiction-Film hat wohl einen derartigen Einfluss auf unsere Vorstellung einer dystopischen Mensch-Maschinen-Gesellschaft gehabt wie Ridley Scotts Klassiker von 1982. Mit ihm wurde das Science-Fiction-Subgenre Cyberpunk, das Ende der 70er in der Literatur begann, im Kino popularisiert. Auf eine Formel gebracht hat das der Autor Bruce Sterling: „High Tech, Low Life“. Hoch entwickelte Technologie im Widerspruch zu einer starken soziale Ungleichheit. Es geht um den Kampf ums Überleben.
Der Film, nach einem Roman von Philip K. Dick, spielt im Jahr 2019 und handelt von technologisch erweiterten Menschen und Androiden, Vorherrschaft von Mega-Konzernen in einem sozialen Raum, der von digitaler Überwachung, Kontrolle und Repression geprägt ist. Angesiedelt in einem rückgebauten, zerfallenden Staat wird die soziale Ordnung nach dem Kapitalismus ausgerichtet und zerstört. Überall flackert Gewalt auf, es kommt zu Revolten.
Viele dieser Begriffe und Befunde finden sich in Beschreibungen unserer Gegenwart. Die Bewusstseinswelt des Jahres 2019 ähnelt den Szenarien des Cyberpunk.
Cyberpunk weiterhin populäres Genre
„Blade Runner“ hat in der Popkultur Schule gemacht. Auch der Cyberpunk-Manga und später Anime-Film „Akira“ spielt im Jahr 2019. Filme wie „Tron“, „Videodrome“ und „Matrix“ führten die Tradition fort. Hollywood produziert Fortsetzungen von „Blade Runner“ und „Terminator“ sowie Remakes von „Robocop“ und „Ghost in the Shell“. Und für 2020 kündigt sich mit „Cyberpunk 2077“ ein Computerspiel-Blockbuster an, in dessen Trailer „Matrix“-Held Keanu Reeves auftritt.
Aber nicht nur die Kulturindustrie pflegt den Cyberpunk. „Blade Runner“-Fan Elon Musk hat gerade seinen Tesla Cybertruck vorgestellt, der aussieht wie gerade aus dem Film gefallen. – Noch wichtiger aber wieviel Cyberpunk in der ganz realen Welt ist: Hacker-Verhalten, also das widerrechtliche Aneignen und Unterwandern von Technologie und ihre Verwendung gegen die Vorschrift. Zur digitalen Überwachung gibt es bereits die Gegenbewegung: „Sousveillance“ statt Surveillance, also „Unterwachung“, indem Demonstranten die Polizei filmen statt umgekehrt. Chinas digitaler Überwachungsapparat wird von Protestierenden in Hongkong ausgetrickst. Laserpointer und Camouflage-Schminke irritieren die Gesichtserkennung, Steinchen im Schuh die Bewegungs-Überwachung.
Auch hier aber stehtCyberpunk immer an der Kante zur Wiedereingliederung ins System. Anti-Gesichtserkennungs-Masken werden fashionable, werden gescoutet für die Kollektionen internationaler Style- und Brand-Konzerne,, für die das Geschäft mit China höchste Priorität hat.
Das kommerzielle Potenzial des Genres steht also einerseits im Widerspruch dazu, dass der Cyberpunk die Auswirkungen des Kapitalismus problematisiert. Andererseits sind die Prophezeiungen der Science-Fiction überaus wirkmächtig in unserer Realität.
Erschienen auf Deutschlandfunk Kultur