Weinstock, Jeffrey, Hg. The Ashgate Encyclopedia of Literary and Cinematic Monsters. Farnham: Ashgate, 2014.

„Wir leben in einer Zeit der Monster“, schreibt Jeffrey Cohen bereits 1993 in seinem Sammelband Monster Theory und verweist damit auf eine tief sitzende gesellschaftliche Angst, die unser Leben ständig umgibt und sich kulturell in einer Faszination für gesellschaftliche Grenzgänger äußert (iix). Im Monster, der ultimativen körperlichen Manifestation all unserer Ängste, Sehnsüchte und Sorgen, finden wir zugleich die Möglichkeit, Grenzen aufzuzeigen und diese zu überschreiten. Für Cohen ist das Monster deshalb zugleich das Zeichen einer tiefen kategorialen Krise wie auch einer unterdrückten Sehnsucht; es patrouilliert an den Grenzen sozialer Konformität, bestraft deren Übertretung, verlockt aber zugleich durch die in ihm repräsentierte Grenzenlosigkeit. Im Monster finden wir all die Dinge wieder, die wir aus dem sozialen Körper vertreiben, die ihn aber dennoch immer wieder heimsuchen.

Für Jeffrey Weinstock, den verantwortlichen Herausgeber der vorliegenden Monster-Enzyklopädie, ist es genau diese liminale Position an der Grenze der Gesellschaft und zugleich außerhalb ihrer bindenden Normen, die das Monster für uns als kulturelle Metapher so faszinierend macht (4). Der mit dem neuen Jahrtausend immer deutlicher werdende Druck auf das Individuum und die Sehnsucht nach dem Ausbrechen aus dem Korsett von Regeln und Erwartungen verändert auch die Darstellung des Monsters und unsere Reaktion ihm gegenüber, Abscheu und Horror weichen Faszination und Sehnsucht: „Der moderne Reiz von Vampiren […] und anderen Monstern, im 21. Jahrhundert in der westlichen Welt, reflektiert sowohl das weitverbreitete Misstrauen gegenüber zentralisierter Macht (gegenüber Regierungen, dem Patriarchat, der Religion und so weiter), als auch die im Gegenzug auftretende Betonung von Multikulturalismus, ‚Toleranz‘ und der ungehinderten Ausübung von Individualität“ („Introduction“ 4).

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Monströsen, die Teratologie, hat als wichtiger Bestandteil der Fantastikforschung entsprechend für die heutige Zeit stark an Bedeutung gewonnen. Insbesondere in Form literarischer und audiovisueller Texte lässt sich seit einigen Jahrzehnten ein kontinuierliches, wenn nicht sogar ansteigendes Interesse am Monster als Chiffre für Alterität aufzeigen. Das Monster wird zur Verkörperung alternativer, hybrider und multipler Identitätskonstruktion. In ihrem aktuellen Sammelband Monster Culture gehen Marina Levina und Diem-My T.Bui sogar so weit, Monstrosität aus dem Status der kulturellen Metapher zu befreien und sie als „notwendige Bedingung unserer Existenz im 21. Jahrhundert“ (2) zu bezeichnen. Monstrosität ist demnach ein ontologischer Zustand unserer sich ständig verändernden und mehrdeutigen Realität, die sich vor allem durch fließende globale Strukturen in Kultur, Gesellschaft, Politik und Wirtschaft auszeichnet (vgl. 5).

Betrachtet man die Teratologie in diesem globalen und modernen Kontext, erklärt sich das Projekt einer Encyclopedia of Literary and Cinematic Monsters, wie Weinstock es hier vorlegt, relativ schlüssig. Es geht Weinstock und den Beiträgern weder darum, eine historische Perspektive auf Volksglauben, Sagen und Mythen der hier präsentierten Monster zu bieten, noch darum, eine vollständige Liste aller je in der Weltkultur präsentierten Monster anzufertigen. Ersteres leisten ethnologische Studien und Lexika (wie etwa McCormick und White) besser und ausführlicher. Letzteres wäre ein durchaus interessantes, aber wohl kaum in einem Buch zu leistendes Projekt – vor allem, wenn die Einträge einem hohen wissenschaftlichen Niveau genügen sollen. Entsprechend beschränkt sich die Ashgate Encyclopedia auf etwa 200 Einträge über Monster, die im westlichen (also haupt­sächlich im anglo-amerikanischen) Kulturraum als zentral gelten können, wobei noch weitere Einträge summarisch Hauptbegriffen zugeschlagen wurden und man etwa „Goliath“ unter der Kategorie „Gigant“ antreffen kann. Hierunter fällt auch die Vielzahl an Kreaturen einzelner Hauptvertreter der Fantastik, die eigene kompendiarische Einträge erhalten haben: Tolkien, Lovecraft, Rowling, Dante.

Um ein so umfangreiches Thema in ein angemessenes Format zu überführen, mussten Weinstock und seine Berater natürlich Eingrenzungen vornehmen. So war das wichtigste Kriterium für eine Aufnahme, dass „das Wesen die Gesetze der Natur, wie wir sie kennen, überschreiten oder verletzen musste“ (6). Menschliche Monster qualifizierten somit nicht. Zwar setzt Weinstock zudem einen Fokus auf Monster, die in der englischsprachigen Kultur bekannt sind, dieser findet sich aber in der Auswahl der Beiträge nur in gemilderter Form wieder. Der jüdische „Dybbuk“, japanische „Oni“, russische „Oboroten“ und sogar die Monster und Dämonen der indischen „Mahabarata“ finden sich in der Enzyklopädie. Natürlich sind die Einträge gewichtet, und „Vampire“, „Zombies“ und „Außerirdische“ erhalten deutlich längere Auswertungen als etwa die „Horla“ oder „Chucky“. Dennoch fällt positiv auf, dass die Ashgate Encyclopedia den ausgewählten Monstern auf 625 Seiten deutlich mehr Raum zuteil werden lässt, als es etwa die einschlägigen Werke von Jeff Rovin oder Daniel Cohen aus den 1980er Jahren tun. Der Fokus auf literarische und filmische Darstellungen und die Abgrenzung von der Folklore erlauben eine zeitaktuelle und wissenschaftlich fundierte Auseinandersetzung mit der kulturellen Darstellung von Monstern, die zwar je nach Beitrag in der Qualität leicht schwankt, insgesamt aber ein sehr hohes Reflexionsniveau aufweist.

Mit den bereits genannten Einschränkungen (begrenzte Anzahl der Einträge, leichter Fokus auf anglo-amerikanischen Kulturkreis und Schwerpunktsetzung auf Literatur/Film statt Folklore) ist die Ashgate Encyclopedia of Literary and Cinematic Monsters somit eine ideale erste Anlaufstelle sowohl für Studenten, die sich diesem Gebiet der Fantastik nähern wollen, als auch für etablierte Forscher der Literatur- und Medienwissenschaften, die hier kompakte Überblicke zu spezifischen Themengebieten finden können.

 

Zitierte Werke

Cohen, Daniel. The Encyclopedia of Monsters. New York: Dodd, 1982.

Cohen, Jeffrey Jerome, Hg. Monster Theory: Reading Culture. Minneapolis: U of Minnesota Press, 1996.

Levina, Marina, und Diem-My T.Bui, Hg. Monster Culture in the 21st Century: A Reader. London: Bloomsbury, 2013.

McCormick, Charlie T. und Kim Kennedy White, hg. Folklore: An Encyclopedia of Beliefs, Customs, Tales, Music and Art. Santa Barbara: ABC, 2011.

Rovin, Jeff. The Encyclopedia of Monsters. New York: Facts, 1989.

 


 

Im Original erschienen in der Zeitschrift für Fantastikforschung.

Schmeink, Lars. “Jeffrey Weinstock: The Ashgate Encyclopedia of Literary and Cinematic Monsters.” Zeitschrift für Fantastikforschung 4.1 (2014): 140-42.

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