Science Fiction: A Guide for the Perplexed
Vint, Sherryl. Science Fiction: A Guide for the Perplexed. London: Bloomsbury, 2014.
Die Science Fiction (SF) ist ein notorisch schwer zu definierendes Genre, das sich einfacher Kategorisierung entzieht und eine Vielzahl verschiedenster theoretischer Diskurse hervorgebracht hat, die im Wettstreit um Gültigkeit miteinander stehen und den Gegenstand umfassend zu beschreiben trachten. Doch genau da liegt das Problem: Wie können so deutlich divergierende Artefakte wie George Lucas‘ visuell markantes Sternenabenteuer Star Wars (USA 1977), Robert Heinleins die Ingenieurskunst preisende Golden Age-Kurzgeschichte „The Roads Must Roll“ (1940) und Joanna Russ‘ sozialkritischer, feministischer Roman The Female Man (1975) unter ein und denselben generischen Markern zusammengefasst werden? Ein solches Unterfangen scheint Sherryl Vint, in ihrem neuen Buch, eher schwierig zu bewerkstelligen und auch gar nicht wirklich erstrebenswert. So entscheidet sie sich in ihrem „Ratgeber für die Verwirrten“ (so der Untertitel des Werkes) stattdessen dafür, neueren Ansätzen in der Genreforschung zu folgen, die Genre als „Prozess der Bewertung und Beschreibung“ (6) verstehen, als von „Praxisgemeinschaften“ (7) kontinuierlich neu verhandelte Beziehungen zum Objekt. Die verschiedenen theoretischen Diskurse der SF seien also entsprechend nicht nur formale und ästhetische Kategorien, sondern vor allem auch soziale und politische.
Im Gegensatz zu anderen Einführungstexten versucht Vint daher in Science Fiction: A Guide for the Perplexed nicht eine Genealogie der SF, einen historisch-diachronen Abriss der Entwicklungen, der allen medialen und ideologischen Wandlungen gerecht zu werden versucht – solcher Werke gibt es genug auf dem Markt, und mit der Routledge Concise History of Science Fiction hat Vint selbst (mit Mark Bould, 2011) bereits einen durchaus lesenswerten Beitrag geleistet. Vielmehr geht es ihr in diesem Werk darum, eine synchrone Beschreibung des Genres entlang der beteiligten Theoriediskurse zu liefern und so sozio-politische Interessen aufzudecken, die unterschiedliche Praxisgemeinschaften an die SF herantragen.
Nach einem einführenden Kapitel widmet sich Vint daher in acht Kapiteln einer Vielzahl von Ansätzen der SF-Forschung, die das Genre beschreiben und spezifischen Sichtweisen unterziehen, wobei ihr als Kapitel-Oberbegriffe in der SF-Forschung berühmt-berüchtigte Schlagworte wie Suvins „Cognitive Estrangement“ dienen. So verbinden die Kapitel ähnliche oder komplementäre Theorieansätze zu Verbünden, die Vint entsprechend ihrer Ausrichtung auf gesellschaftliche Funktionen hin analysiert. Angereichert werden die theoretischen Betrachtungen durch geschickt gewählte und aufgrund der synchronen Lesart historisch sehr variable Beispiele aus Literatur und Film. Die Auswahl der close readings, die Vint einem jeden Kapitel beifügt, orientiert sich bei Kurzgeschichten vornehmlich an einer weiten Verfügbarkeit in Anthologien und bei Romanen und Filmen an deren relativ hohem Bekanntheitsgrad. Ein deutlicher Vorbehalt in Bezug auf das gewählte Corpus bleibt die Konzentration auf den britisch-amerikanischen Raum, von der Vint einzig mit einer längeren Analyse des südafrikanischen Film District 9 (2009) von Neil Bloomkamp abweicht. Ein Einbezug internationaler Sichtweisen, wie er in der SFRA in den letzten Jahren immer deutlicher gefordert wird und beispielsweise in Sonja Fritzsches Liverpool Companion to World Science Fiction Film (2014) sogar zum Thema gemacht wurde, wäre dem Buch zuträglich gewesen – insbesondere da im Abschnitt „Literature of ideas“ die Abkehr von stereotypen Denkmustern in den Vordergrund gestellt wird.
Besonders lobenswert, gerade für den Einsatz an Hochschulen, ist jedoch der Abschluss eines jeden Kapitels mit einigen Diskussionsanstößen, die Lehrende nutzen können, um die im jeweiligen Kapitel erarbeiteten Themen zu vertiefen. So eignet sich das Buch hervorragend dazu, Neulinge mal abseits der historisch ausgetretenen Pfade an die Thematik SF heranzuführen. Diese Zielgruppe spiegelt sich auch in der Preispolitik des Verlags, dank der die Paperback-Ausgabe für Sekundärmaterial für günstige 20 Euro zu haben ist.
Inhaltlich bespricht Vint eigentlich alle zentralen Themen der SF, ohne sich dabei im üblichen historischen Dickicht zu verlieren. Im Kapitel „The literature of technologically saturated societies“ beschreibt Vint, ausgehend von eben dieser Formulierung Roger Luckhursts (aus dessen Science Fiction, 2005), eine SF, die sich strikter rationaler, wissenschaftlicher Denkweise verschrieben hat und technologischen Fortschritt zelebriert. Bekanntestes Beispiel hierfür ist sicherlich die von John W. Campbell maßgeblich bestimmte Golden Age SF der 1940er und 50er Jahre, aber Vint verweist auch auf eine Tradition, die zurück zu H. G. Wells War of the Worlds (1898) reicht.
In „Cognitive estrangement“ wendet sich Vint dann der berühmten Definition von Darko Suvin zu (aus Metamorphoses of Science Fiction, 1979), die von der SF Sozialkritik fordert – sowohl in Form einer Widerspiegelung der Gesellschaft als auch im Nachdenken über Gesellschaft (vgl. 39). In dieser kognitiv-verfremdeten SF findet sich somit, laut Vint, das Potenzial einer kritisch-theoretischen Reflexion einer jeweiligen zeitgenössischen materiellen Realität.
Im Kapitel „The megatext“ wiederum wendet sich Vint der Idee zu, dass SF-Texte, weit mehr noch als bei anderen Genres, von einer sie durchziehenden Intertextualität und einem speziellen Entziffern von Referenzen durch den Leser leben und dabei kontinuierlich in Diskurs zu anderen SF-Texten treten. Die SF generiert somit sprachlich wie thematisch ein eigenständiges Bezugsfeld jenseits einer greifbaren Realität, das von Texten immer wieder aufgenommen und kommentiert wird – solche Referenzen ziehen sich dann historisch durch alle sie betreffenden Thematiken, beispielsweise die Darstellung von Robotern, die zwangsläufig Bezug auf Asimovs Gesetze der Robotik nehmen.
Unter „Speculative fiction“ beschreibt Vint wiederum den Paradigmenwechsel der New Wave und deren Orientierung weg von ‚harten‘ Wissenschaften hin zum „inneren Raum“ (76) der privaten Konsequenzen sozialer, kultureller oder technischer Veränderungen. Diese SF verhandelt vor allem die Bedingungen, unter denen Menschen mit dem stetigen technologischen Fortschritt mithalten müssen, und den Einfluss, den diese auf die Ontologie einer uns umgebenden Realität haben. „Speculative fiction“ liefert dabei eine postmodern dekonstruierende Reflexion eben dieser Prozesse des Fortschritts.
Im Kapitel „Communities of practice“ erweitert Vint den Horizont dessen, was als SF gilt, um die materielle Ebene und den Bezug fiktionaler Welten auf reale Gemeinschaften, allen voran die Fan-Gemeinden, die sich um SF bilden. Ihr Blick gilt der kontinuierlichen Wechselspiele, die zwischen SF als reiner Imagination und praktischer Inspiration entstehen und somit heutzutage auch etwa den Transhumanismus oder die Entstehung virtueller Parallelrealitäten betreffen.
Unter „Literature of ideas“ wiederum fasst Vint das Potenzial der Science Fiction, zu sozialen Veränderungen aufzurufen und Missstände zu verdeutlichen. In diesem Kapitel konzentriert sie sich vornehmlich auf das in der SF mögliche Aufbrechen hegemonialer Dichotomien, wie männlich/weiblich, weiß/schwarz, Mensch/Maschine und verdeutlicht anschaulich die radikale Neubewertung sozialen Status quo durch feministische und afro-amerikanische Werke.
Das Kapitel „Literature of change“ hingegen versteht die SF hauptsächlich unter dem Ansatz, Veränderungen zu beschreiben und so eine Interpretation der wechselhaften Zustände des Seins zu geben. Vint beschreibt die Wandlungen im Verständnis von Philosophie, Soziologie, Technologie und vor allem auch Ästhetik, die in der SF beschrieben, aber auch durch sie hervorgerufen wurden.
Abschließend versucht Vint unter dem Kapitel „Science Fictionality“ noch einmal den Rückbezug auf die Praxisgemeinschaften und die von Istvan Csicsery-Ronay in Seven Beauties of Science Fiction (2008) beschriebene Annäherung von Lebensrealität und SF-Fiktionalität. Entsprechend dieser Auflösung einer Grenze zwischen Fakt und Fiktion scheint auch die Darstellung der Realität in der literarischen Produktion immer mehr einer „science fictionality“ zu entsprechen.
Insgesamt deckt der theoretische Rahmen des Buches damit alle relevanten Theorie-Diskurse ab, die aktuell in der SF geführt werden und die somit die unterschiedlichen Praxisgemeinschaften betreffen. Was in der Diskussion dieser Theorien implizit zwar immer mitschwingt, aber durchaus noch etwas deutlicher hätte herausgearbeitet werden können, ist die Tatsache, dass viele der Ansätze sich überschneiden, sich ergänzen bzw. sogar bedingen. So nutzt Vint etwa die von Asimov berühmt gemachte Trope des Roboters, um damit die intertextuelle Referenzialität des Megatextes zu erläutern und etwa eine genealogische Linie zum Cyborg herzustellen. Was im Buch zwar immer mitschwingt, aber nie explizit gemacht wird, ist die Verbindung dieses Themas zu fast allen anderen Theoriediskursen. Asimov etwa schreibt klar in der Golden Age SF einer technisch-saturierten Gesellschaft, kritisiert die gesellschaftliche Realität einer Sklave-Herr-Dynamik und bietet damit ein verfremdetes Bild auf die Vergangenheit der USA. Die Weiterentwicklung des Roboter-Themas wird bei Dick zur „speculative fiction“, von der Theoretikerin Donna Haraway zur feministisch-kritischen Metapher des Cyborg gemacht und durch Marge Piercy etwa in Form einer „Literature of ideas“ aufgegriffen und spätestens mit dem Transhumanismus zum Thema heutiger Praxisgemeinschaften, die darin im Sinne Ray Kurzweils realistische Entwicklungen der Technologie sehen.
Ein abschließendes Kapitel, das genau diese stete und eigentlich fast alle SF-Tropen betreffende Verquickung der hier vorgestellten Diskurse noch einmal deutlich hervorhebt, wäre gerade mit Hinblick auf die angestrebte Zielgruppe von Studierenden und Lehrenden eine hilfreiche Ergänzung gewesen. So oder so ist das Buch aber ein Einführungstext, der erfrischend anders daherkommt und dank seiner Konzentration auf die von der SF erfüllten Funktionen auf eine staubige, historisch-kategorisierende Einordnung verzichten kann.
Im Original erschienen in der Zeitschrift für Fantastikforschung.
Schmeink, Lars. “Sherryl Vint: Science Fiction: A Guide for the Perplexed.” Zeitschrift für Fantastikforschung 4.2 (2014). 128-31.
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