The Science Fiction Film Classics in the BFI Series
British Film Institute. BFI Film Classics Series. London: Palgrave, seit 1992.
Das bereits 1933 gegründete British Film Institute ist eine der weltweit ältesten Fördereinrichtungen für Film und besitzt mit dem BFI National Archive die weltweit größte Sammlung für Film und Fernsehen. Zu seinem 50. Geburtstag erhielt das Institut den Ehrenschlag der „Royal Charter“ und steht seitdem somit quasi unter königlichem Schutz. In Hinsicht auf die (populär-)wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Film ist neben der Archivarbeit vor allem die Publikationsvielfalt des Hauses zu loben, die es Forschern, Lehrenden und Studierenden möglich macht, sich mit der ganzen Bandbreite des Filmschaffens zu beschäftigen. Seit 1992 etwa veröffentlicht das BFI zusammen mit dem Verlagshaus Palgrave Macmillan die Buchreihe BFI Film Classics, in der kurze, aber prägnante Analysen führender Filmwissenschaftler zu einzelnen Filmklassikern erscheinen. So wurde die Reihe mit einem Buch von Edward Buscome zu John Fords klassischem Western Stagecoach (USA 1939) begonnen und seither mit über 150 weiteren Titeln fortgeführt.
Der erste Science-Fiction-Film, der 1995 in die Reihe aufgenommen wurde, war der Utopie-Klassiker Things to Come (UK 1936, Regie: William Cameron Menzies), den Christopher Frayling vorstellte. Bis 2010 fanden jedoch nur wenige Werke zu SF-Filmen Einzug in die Reihe, deren Ziel es nach eigenen Aussagen ist „landmarks of world cinema“ zu zelebrieren und deren Status als Klassiker zu diskutieren. Als SF-Themen waren bis 2010 zu verzeichnen: Sean Frenchs The Terminator (1996), Scott Bukatmans Blade Runner (1997), Thomas Elsässers Metropolis (2000), Joshua Clovers The Matrix (2007) und Will Brookers Star Wars (2009). Natürlich ist die Entwicklung einer Buchreihe ein von vielen Faktoren beeinflusstes Großprojekt, das neben ökonomischen Überlegungen etwa auch davon abhängt, ob kompetente Autoren für Werke gewonnen werden können. Aber leider bleibt zu konstatieren, dass Science-Fiction-Produktionen bis in die frühen 2000er Jahre nur selten zu BFI-Filmklassikern geadelt wurden.
Es dürfte also ein Zeichen eines deutlichen Wandels sein, sowohl in Hinsicht auf die Verfügbarkeit von Forschern zum Thema als auch bezüglich der generellen Akzeptanz von Science Fiction als potentielle „landmarks“ des Kinoschaffens insgesamt, dass seit 2010 die Veröffentlichungen zu Science-Fiction-Filmen in Schüben angestiegen ist. So kamen 2010 mit Peter Krämers 2001: A Space Odyssey, Andrew Shails und Robin Stoates Back to the Future und Barry Keith Grants Invasion of the Body Snatchers gleich drei neue Titel zur SF auf den Markt, während 2012 das 20-jährige Bestehen der Reihe mit Neuauflagen u.a. von Blade Runner und Metropolis gefeiert wurde. 2014 aber dürfte in der BFI-Reihe als das Jahr der SF anzusehen sein, denn gleich neun neue Titel beschäftigen sich mit Science-Fiction-Filmen:
- Michelle Le Blanc und Colin Odell – Akira
- Roger Luckhurst – Alien
- Paul McAuley – Brazil
- Peter Krämer – Strangelove
- Andrew M. Butler – Eternal Sunshine of the Spotless Mind
- Kim Newman – Quatermass and the Pit
- Mark Kermode – Silent Running
- Mark Bould – Solaris
- Barry Forshaw – The War of the Worlds
Jedes der Bücher widmet sich in einem überschaubaren Rahmen (durchschnittlich knapp 100 Seiten) exklusiv der Analyse eines einzelnen Films, wobei Luckhursts Alien die drei nachfolgenden Teile zumindest sporadisch anspricht. Zielsetzung der Bände ist vor allem eine analytische Bewertung: warum ist der Film als Klassiker zu sehen, was ist sein Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen artverwandten Filmen? Das Niveau der Diskussion ist entsprechend der Zielgruppe, die zwischen Filmstudierenden und interessierter Öffentlichkeit pendelt, wissenschaftlich, aber verständlich und unterhaltsam. Die Reihe, deren Bände für erschwingliche £13 (in D zwischen 15 und 18 Euro) erhältlich sind, bietet auch Fachleuten interessante Einblicke und Anekdoten, wartet aber weder mit radikalen Thesen noch mit allzu spezifischen Fachdiskursen bzw. -jargon auf.
Jenseits dieser Serienausrichtung sind die einzelnen Analysen aber recht unterschiedlich gehalten, überlassen die Herausgeber der Reihe die Struktur und inhaltliche Diskussion der Werke doch voll und ganz den Autoren. Einige Beispiele: Der Band des BBC-Filmkritikers Mark Kermode zu Silent Running (USA 1972, Regie: Douglas Trumbull) liest sich eher wie ein journalistischer Essay, zwar ein sehr ausführlicher und anspruchsvoller Essay, aber eben doch merklich anders als die Beiträge der wissenschaftlichen Autoren. Kermode verzichtet etwa vollständig auf eine Kapitelstruktur und erklärt in seiner sehr persönlichen Einleitung seine emotionale Beziehung zum Film und die die Analyse durchziehende Nostalgie: „To be clear: Silent Running is not a film about which I can be dispassionate. […] I have long since parted with anything approaching critical distance“ (9). Trotz dieser Färbung bleibt sein Buch aber informativ und liefert eine überzeugende Analyse, die den Film einerseits in der historisch spezifischen Counter-Culture der 1960er und 70er Jahre verortet, ihn aber andererseits für die heutige Diskussion um Nachhaltigkeit und Klimawandel als wegweisend versteht.
Roger Luckhursts kulturwissenschaftliche, aber ebenfalls eher essayistische Diskussion von Ridley Scotts Alien (USA/UK 1979) hingegen zeichnet sich durch eine Fülle von Verweisen aus, die Scotts Film in der Geschichte der SF (in Hinsicht auf Literatur, Film und Theorie) verorten und so eine umfassende Analyse der zum Film existierenden Forschungsdiskurse liefern. Luckhurst arbeitet sich durch die unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten des Films und dessen Verortung als SF – er diskutiert die Story mit Blick auf die historische Entwicklung des Nicht-Menschlichen, das Motiv des Raumschiffs und die abweisende Darstellung des Technischen, künstliche Intelligenz (sowohl in Form des Bordcomputers Mutter und des Androiden Ash) und natürlich die feministische Radikalität des Films, von den fortwährenden Darstellungen der Geburt bis hin zur den ‚male gaze‘ brechenden Präsenz von Ellen Ripley (Sigourney Weaver).
Als drittes Beispiel soll hier die sich am anderen Ende des Spektrums befindliche Analyse Michelle Le Blancs und Colin Odells stehen, die sich Katsuhiro Otomos Akira (JP 1988) widmet und einer klassisch-wissenschaftlichen Struktur folgt. Nach einer vor allem an den westlichen Leser gerichteten Einführung allgemein in den Anime-Film, die SF im Anime und Akira im Speziellen liefern die beiden Filmkritiker eine überzeugende, wenn auch konservative Analyse der im Film angesprochenen Themen (Zukunft Japans, Macht und Korruption, Wissenschaft und Körperhorror) wie auch eine Diskussion verschiedener Aspekte der Produktion (Charakterdesign, Setting, Soundtrack, Manga), um dann in einem als „Legacy“ bezeichneten Ausblick zu enden, der den Nachhall und Einfluss des Films dokumentiert.
Alle Bände der Reihe bewegen sich im Spektrum zwischen journalistisch-emotionaler Rezension in Langform und wissenschaftlich-analytischer Arbeit in Kurzform und bieten somit einen idealen Brückenschlag zwischen populärer Thematik und wissenschaftlichem Anspruch. Dieser erste Schritt auf einen Filmklassiker hin ist vor allem als Kennenlernen zu verstehen, als Türöffner in die Welt der Filmanalyse. Dass nun auch endlich die Science Fiction einen deutlichen und prägenden Anteil an den BFI-Filmklassikern hat ist nicht nur erfreulich, sondern auch wichtig. Denn die hier besprochenen Werke zeigen, wie vielseitig die Science Fiction ist, wie stark sie den Film als Medium mitgeprägt hat, und vor allem, wie vielseitig die Begründungen für eine Inklusion in die Kategorie der „landmarks of cinema“ sein können.
Im Original erschienen in der Zeitschrift für Fantastikforschung.
Schmeink, Lars. “British Film Institute. BFI Film Classics Series.” Zeitschrift für Fantastikforschung 5.2 (2015): 130-32.
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