Review: Neoliberalism and Cyberpunk Science Fiction
Neoliberalism and Cyberpunk Science Fiction: Living on the Edge of Burnout. Caroline Alphin. Routledge, 2021.
Gibt es in der Wissenschaft eigentlich auch so etwas wie »click-bait«? Wenn ja, dann wäre es wohl das Aufpeppen von Buchtiteln durch gewisse Buzzwords und für Suchmaschinen optimierte Begriffe. Namedropping auf Titelniveau.
Allerdings muss ich zugeben, dass ich nicht damit gerechnet habe, dass ausgerechnet Science Fiction oder noch spezieller Cyberpunk ein Plus im akademischen Marketing darstellen. Im Gegenteil, alle meine persönlichen Erfahrungen sagen, dass man solche Begriffe tunlichst vermeiden sollte, wenn man im geisteswissenschaftlichen Betrieb nach Höherem strebt. Doch für die Literaturwissenschaftlerin Caroline Alphin scheint das nicht zu gelten, hat sie doch ihrer Studie über das neoliberale Subjekt und Biopolitik eindeutig mit Hilfe des Buzzwords Cyberpunk das gewisse Etwas verleihen wollen. Denn eines kann ich mit Gewissheit sagen: Um Cyberpunk geht es in dem Buch jedenfalls nicht.
Neoliberalism and Cyberpunk Science Fiction ist ein relativ schmaler Band, mit gerade einmal fünf Kapiteln, in denen Alphin versucht darzulegen, wie »neoliberal governmentalities shape and produce space and time, along with certain subjectivities, in order to secure and maximize market competition« (5) und sich dabei als Theoriegrundlage hauptsächlich auf Michel Foucaults Biopolitik beruft. Der Neoliberalismus, so Alphin, generiere geografische Zonen und Zeitperspektiven – »Necroscapes« und »Necro-temporality« (8) – in denen mittels einer alles bestimmenden Logik der Konkurrenz über Leben und Tod von Menschen entschieden würde. So liest sie etwa die Nutzung von Fitness-Trackern als kontinuierliche Selbstüberwachung im Dienste des neoliberalen Konkurrenzkampfs, der seine Protagonist*innen zu »self-monitoring cyborgs« (43) mache. Oder sie sieht in der Biohacking-Szene den ultimativen Schritt hin zum »accelerationism« (121), einer Intensivierung des neoliberalen Kapitalismus, einem »es muss schlimmer werden, bevor wir da durch sind«, wie es auch Steven Shaviro in seinem Buch No Speed Limit proklamiert hat. Diesen Argumentationen kann man durchaus folgen und sie sind auch überzeugend dargelegt, wenn auch nicht radikal oder besonders neu.
Doch in Hinsicht auf die SF und speziell den Cyberpunk fragt man sich bei der Lektüre des Werkes schon, wie Alphin überhaupt auf die Idee gekommen ist, hier so hochtrabende Behauptungen aufzustellen: »I wish to problematize the biopolitical present by weaving in and out of an analysis of the narratives, discourses, and spatio-temporalities of cyberpunk and neoliberalism« (23). Schon in Hinsicht auf die Auswahl ihrer Primärwerke wird deutlich, dass diese Aussage nicht zu halten sein wird, denn mit gerade einmal drei Romanen und einem Film ist wohl kaum ein umfassendes Bild des Cyberpunk zu erreichen. William Gibsons Neuromancer (1984), Neal Stephensons Snow Crash (1992) und Richard Morgans Altered Carbon (2002) sowie Ridley Scotts BLADE RUNNER (US 1982) stehen für ein sehr spezifisches Bild des Cyberpunk, das geprägt ist von Privilegien (weiß, männlich, anglophon) und gedanklichen Limitierungen (der unterschwellige Rassismus, die offene Misogynie, die Wahl eines amerikanischen »heroic individualism«). Schon in seiner Frühzeit war Cyberpunk keinesfalls so beschränkt (siehe etwa Rudy Ruckers Software [1982] oder Pat Cadigans Synners [1991]), doch spätestens mit der von Thomas Foster attestierten »sea change into a more generalized cultural formation« (xiv) kann man heutzutage nicht mehr ernsthaft ein so eingegrenztes Feld als Cyberpunk definieren. Zu den Narrativen und Diskursen, die Alphin hier also eben nicht in ihre Analysen einwebt, gehören etwa die feministische Kritik und Literatur, die gegen den Boys-Club der oben genannten angeschrieben haben, oder die marginalisierten Stimmen (wie im Afro- oder Africanfuturism oder in Latinx-Cyberpunk), die Technologie als Weg sehen, eine neue und freiere Zukunft selbst zu bestimmen. So überrascht es auch nicht, dass Alphin etwa auf der klassischen Body-Mind-Aufteilung beharrt und den Cyberpunks eine Abkehr vom Fleisch zugunsten des techno-utopischen Cyberspace attestiert. Aber das ist in der SF-Theorie schon lange überholt. Nicht nur haben Theoretiker*innen wie N. Katherine Hayles oder Sherryl Vint sich an Embodiment abgearbeitet, vielmehr gibt es auch im Cyberpunk dezidiert queere Perspektiven auf dieses Thema, wie etwa Melissa Scotts Trouble and her Friends (1993) oder die MATRIX-Filme von Lily und Lana Wachowski (1999–2021) eindrucksvoll zeigen. Alphin jedoch sieht ihre magere Auswahl als stereotype Form des Cyberpunk und verallgemeinert für ein paar schwache Anekdoten.
Denn wirkliche Close Readings bietet das Werk nicht. Vielmehr sind Alphins vier Primärwerke einzig dazu da, immer mal wieder einen kurzen Verweis zu liefern, eine Anmerkung zum Neoliberalismus zu stützen. Eine Erklärung zur Korpusauswahl oder zur eher oberflächlichen Nutzung der Literatur fehlt – jenseits des bereits zitierten kryptischen Wunsches des Einwebens in die Texte und Diskurse. Wenn dann aber im ganzen Kapitel zum »Self-Monitoring Cyborg« nur ein einziges Mal Neuromancer erwähnt wird, sonst Cyberpunk nicht mal vorkommt, dann sehe ich hier keine Verwebungen. Auch die anderen Kapitel bleiben mager in der Analyse der Primärtexte. Ein Manko, dass durch fehlende Sekundärmaterialien noch verstärkt wird, denn Alphin scheint außer Scott Bukatmans Terminal Identity von 1993 einfach keine Literatur zum Cyberpunk rezipiert und somit die in den SF Studies vorhandenen Diskurse völlig verpasst zu haben. Und dabei meine ich nicht nur den von mir 2020 mitherausgegebenen Routledge Companion to Cyberpunk Culture, der erst kurz auf dem Markt war, als Alphin ihr Buch schrieb, und ihr somit wohl nicht zur Verfügung stand. Es fehlen gleichfalls so zentrale Werke wie Larry McCafferys Storming the Reality Studio, Sherryl Vints Bodies of Tomorrow oder Graham J. Murphy und Vints Beyond Cyberpunk. Insgesamt also bleibt Alphins Argumentation aus Sicht der SF Studies weit hinter dem Anspruch zurück, einen wichtigen Beitrag in Sachen »Cyberpunk« als heutigem Zeitgeist zu leisten. Wer sich das Büchlein anschauen will, um etwas mehr über Neoliberalismus und Foucaults Biopolitik zu erfahren, der sei eingeladen, das zu tun, doch als literaturwissenschaftliche Studie des Cyberpunk ist der Band ein Reinfall. Die im Titel erwähnte »Cyberpunk Science Fiction« sucht man in dieser Studie ebenso vergeblich wie die unglaublichen Bilder echter Aliens auf den einschlägigen Seiten klick-vermarkteter Webanbieter. Sie werden nie glauben, was auf Seite 20 passiert …
Zitierte Werke
Bukatman, Scott. Terminal Identity: The Virtual Subject in Postmodern Science Fiction. Duke UP, 1993. DOI: http://doi.org/10.1515/9780822379287
Foster, Thomas. The Souls of Cyberfolk: Posthumanism as Vernacular Theory. U of Minnesota P, 2005.
McCaffery, Larry, Hg. Storming the Reality Studio: A Casebook of Cyberpunk and Postmodern Fiction. Duke UP, 1992. DOI: http://doi.org/10.1515/9780822398226
McFarlane, Anna, Graham J. Murphy und Lars Schmeink, Hg. The Routledge Companion to Cyberpunk Culture. Routledge, 2020. DOI: http://doi.org/10.4324/9781351139885
Murphy, Graham J. und Sherryl Vint, Hg. Beyond Cyberpunk: New Critical Perspectives. Routledge, 2010. DOI: http://doi.org/10.4324/9780203851968
Shaviro, Steven. No Speed Limit: Three Essays on Accelerationism. U of Minnesota P, 2014. DOI: http://doi.org/10.5749/9781452958552
Vint, Sherryl. Bodies of Tomorrow: Technology, Subjectivity, Science Fiction. U of Toronto P, 2007. DOI: http://doi.org/10.3138/9781442684072
Der Artikel erschien zuerst in der Zeitschrift für Fantastikforschung – Link –.