Szenariobasierte Zukunftsforschung mithilfe von Science-Fiction
Zusammenfassung
Der Beitrag zielt erstens auf die Darstellung eines explorativen, methodischen Ansatzes, der die in der Zukunftsforschung bewährte Szenariotechnik mit einer literatur- und kulturwissenschaftlichen Analyse verbindet. Der methodische Ansatz vereint somit erprobte analytische Elemente. Sie wurden in dieser Kombination aber originär im vom BMBF geförderten Projekt FutureWork umgesetzt, das zum Ziel hatte, auf Grundlage der Szenariotechnik, Langfristszenarien zur „Arbeit der Zukunft“ zu erarbeiten. Der Beitrag diskutiert zweitens die Übertragbarkeit von Erkenntnissen aus der Projektarbeit und den Projektergebnissen auf andere Felder der Zukunftsforschung. Zunächst wird dargestellt, wie die Science-Fiction im Projekt eingesetzt wurde bzw. wie deren Analysen die Zukunftsforschung produktiv ergänzen konnten. Aufgezeigt werden dann die Herausforderungen und der Umgang mit selbigen im Kontext einer weiten Vorausschau in einem sozialwissenschaftlichen Themenfeld. Dazu gehören zentrale Schritte der Szenarioanalyse wie die Auswahl von Einflussgrößen innerhalb des Analysefelds, Projektionsentwicklungen, der Szenarienentwurf sowie die Berücksichtigung von Wild Cards. Abschließend wird reflektiert, was aus der Projektarbeit bzw. der methodischen Vorgehensweise und den gezeitigten Ergebnissen für die Zukunftsforschung genutzt werden kann.
Abstract
First, the article aims to present an explorative, methodological approach that combines the scenario method, which is well established within future research, with an analysis from the fields of literature and cultural studies. The methodological approach thus combines established analytical elements. However, they were uniquely implemented in this combination in the Future Work project funded by the BMBF, which aimed to develop long-term scenarios based on the scenario method for the „Work of the Future“. Secondly, the transferability of findings and the project results to other fields of future research are discussed. It will be shown how science fiction was used and how its analyses could productively supplement future research. The challenges and how to deal with them considering foresight in the field of social science will then be shown. This includes central steps of scenario analysis such as the selection of influencing variables within the field of analysis, projection development, scenario design and the recognition of wild cards. Finally, what can be used for future research from the project work or the methodological approach and the results, which can be achieved, is reflected.
1. Einleitung
Im Rahmen des BMBF-geförderten Verbundprojektes „Arbeit im Übergang zum 22. Jahrhundert“ (FutureWork) wurden Arbeitszukünfte für Deutschland entwickelt, die in Form von ausgearbeiteten Szenarien dargestellt sind. [1] Die besondere Herausforderung in diesem Projekt war der weit gefasste Zeithorizont („Übergang zum 22. Jahrhundert“). Diese Perspektive wurde bewusst gewählt, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass schon in der Gegenwart Weichenstellungen für die Zukunft vorgenommen werden sollten, die in dieser und der nächsten Generation ihre Wirkung noch gar nicht richtig entfalten, sondern erst deutlich später. Wie wurde diese Herausforderung angegangen?
Zum einen hat das Projekt das Potenzial der Science-Fiction (SF) genutzt, um bestehende kreative Potenziale einbeziehen zu können und disruptiven Ideen eine Plattform zu bieten. Zum anderen wurde die Szenariotechnik als in der Zukunftsforschung bewährte methodische Basis genutzt. Die SF lieferte dabei aus literatur- und kulturwissenschaftlicher Perspektive Beispiele zur Veranschaulichung und Vertiefung der methodisch nach einem wissenschaftlich anerkannten Vorgehen erarbeiteten und im Erzählstil dargestellten Szenarien. Anders als in vielen Klima- oder Bevölkerungsprognosen, die ebenfalls einem weiten Betrachtungshorizont unterliegen können, hat FutureWork nicht auf Grundlage quantitativer Daten und entsprechender Modelle gearbeitet. Die in der Arbeitsforschung und thematisch verwandten Gebieten vorhandenen Datengrundlagen und Methoden sind für derartige Langfristprognosen ungeeignet. Zudem war die Erarbeitung von Handlungsstrategien für die Gestaltung künftiger Arbeitswelten nicht Aufgabe des Projekts.
In den ersten Recherchen zum Projekt war augenfällig, dass die Miteinbeziehung alternativer Quellen wie die der SF-Literatur in den meisten, wissenschaftlich basierten Zukunftsstudien, vor allem zur Zukunft der Arbeit, weitestgehend unterblieb, obwohl die SF-Literatur schon damals sehr vielfältig und teilweise auch technologisch-gesellschaftlich sehr fundiert war. [2] Ungeachtet der Tatsache, dass immer wieder einzelne Vertreter*innen der Zukunftsforschung für eine stärkere Bezugnahme auf die SF plädieren (u.a. Livingston 1969, Gaßner 1992, Steinmüller 2016, Schwarz/Hofmann 2019, Zaidi 2019), gibt es dennoch bis heute Widerstände in weiten Teilen der traditionellen Zukunftsforschung, die den Wert der SF für das Feld vehement abstreiten (Kreibich 2006, S. 4).
Anzumerken ist, dass aus literaturgeschichtlicher Perspektive die Zukunft seit jeher? ein Bestandteil nicht nur von Sachbüchern, sondern vor allem der fiktionalen, erzählenden Literatur war. Kultur allgemein, Literatur aber im Speziellen ist ein wichtiger Baustein in der sozialen Konstruktion der Realität und sollte daher in der Entwicklung von Zukunftsstudien Einfluss haben, wie Jan Oliver Schwarz bemerkt: „Literatur beeinflusst und reflektiert Veränderungen der Mentalität in einer Gesellschaft“ [3] (2015, S. 511).
Obgleich Schriftsteller*innen in ihren Werken vielfach eine Brücke zwischen technischer, sozialer und politischer Entwicklung gebaut haben, fehlen oftmals methodische Hinweise zu den wechselseitigen Veränderungen, so dass relevante Entwicklungslinien nicht oder nur sehr bedingt herausgearbeitet bzw. übertragen werden können. Die technischen und gesellschaftlichen Visionen, insbesondere von den wissenschaftlich fundiert arbeitenden Autor*innen haben häufig technische Entwicklungen aufgegriffen, die nach gegenwärtigem Stand nicht bzw. bestenfalls mittelfristig und nur in Ansätzen das Laborstadium verlassen werden. Doch ist festzuhalten, dass durch einen Verzicht auf den Einbezug derartiger technisch-fiktionaler Fortschritte auch Hinweise auf eine Vielzahl „unkonventioneller“ zukünftiger Fakten, Entwicklungen und Entwicklungssprüngen ausgeblendet werden, die dabei helfen können, die üblichen Normen des Denkens zu verlassen. [4]
Jenseits dieser Kritik existiert in der SF-Literatur ein ungewöhnlich großer Textfundus an Zukunftsvisionen. Science-Fiction hat nicht nur Auswirkungen auf das Zukunftsbild ihrer Leser*innen und deren Zukunftserwartungen, sondern sie hat immer wieder auch nachweisbare Anstöße für technologische Entwicklungen und konkrete Produkte gezeitigt. [5] Deshalb sollte im Rahmen des Projekts FutureWork der Versuch unternommen werden, das Potential der SF, vor allem der Literatur, aber auch anderer Medien, derer sie sich bedient, sowie ihrer Autor*innen zu erschließen.
Mit unserem Beitrag verfolgen wir mehrere Ziele: Erstens ist unser Anliegen mit Hilfe eines „Best Practice Examples“ das Aufzeigen eines explorativen methodischen Ansatzes, der eine bewährte Methodik zur Zukunftsforschung mit einer literatur- und kulturwissenschaftlichen Analyse verbindet. Zweitens wollen wir thematisieren, ob die Erkenntnisse aus der Projektarbeit und den Projektergebnissen auf andere Felder der Zukunftsforschung übertragbar sind.
Der Beitrag ist wie folgt strukturiert: Im zweiten Abschnitt wird aufgezeigt, wie Science-Fiction im Projekt eingesetzt wurde bzw. wie deren Arbeiten die Zukunftsforschung in unserem Projektkontext produktiv ergänzen konnten. Zunächst gilt es, die thematische Abgrenzung innerhalb des SF-Genres anhand historischer Entwicklungen auf zwei konkrete Unterbereiche – den Cyberpunk und die utopische Literatur – zu erläutern. Dank zentraler Motive und gesellschaftlicher Kommentierung in diesen Subgenres dienen sie idealtypisch in der Repräsentation des Bereichs der „Arbeit“. Im Weiteren wird die Kombination der kulturellen Interpretationen mit Projektionen der Szenarioanalyse sowie die Berücksichtigung von SF-Inhalten bei den Wild Cards erklärt. Danach wird dargestellt, wie die Verschränkung von Szenarien und Fiktionen bei den Ergebnissen umgesetzt worden ist.
Im dritten Abschnitt werden die methodischen Herausforderungen und der Umgang innerhalb des Projektes im Kontext einer weiten Vorausschau in einem sozialwissenschaftlichen Themenfeld erläutert. Der Fokus liegt auf den zentralen Schritten der Szenarioanalyse. Dazu gehören z.B. die Auswahl von Einflussgrößen innerhalb des Analysefelds, Projektionsentwicklungen, der Szenarienentwurf sowie die Berücksichtigung von Wild Cards.
Im vierten Abschnitt wird reflektiert, was die Projektbeteiligten aus dem explorativen Ansatz und seinen Befunden gelernt haben. Dazu gehört eine Zusammenfassung der Ergebnisse, Erkenntnisse aus der methodischen Vorgehensweise (z.B. Verknüpfung von quantitativer und qualitativer Methodik und die Möglichkeit der Übertragbarkeit des Projektansatzes auf andere Themenfelder innerhalb der Zukunftsforschung).
2. Einbindung der Science-Fiction
Um die etablierte Szenariotechnik zu erweitern und den Blick in eine weiter entfernte Zukunft zu ermöglich, bedarf es einer kreativeren Perspektive, einer Form der spekulativen Extrapolation, die über das Hier und Jetzt hinausgeht. Kulturproduktion kann diese Perspektive liefern, insbesondere diejenige, die sich technologischen Veränderungen und gesellschaftlichem Wandel zuwendet: die Science-Fiction. Dies sieht auch Robert Gaßner so, der für einen Abgleich der durch die Zukunftsforschung entwickelten Szenarien mit den Visionen der SF plädiert, um so eine „Optimierung“ (1992, S. 225) der Methode zu erreichen. Auch Karlheinz Steinmüller argumentiert ähnlich: die SF sei nicht nur ein Abbild bestehender Technologietrends und damit einhergehender Diskurse, sondern selbst „Faktor der Zukunftsgestaltung“ (2010, S. 22) und damit an der Entwicklung von Szenarien beteiligt.
Auch wenn es ein Allgemeinplatz der SF ist, dass es nicht ihre Aufgabe ist, Zukunft vorherzusagen, so ist es doch an ihr, den Fortschritt kritisch zu begleiten „in dem sie Aspekte zeitgenössischer Technologie erweitert oder extrapoliert“ (Luckhurst 2005, S.3). Die Reichweite technologischer Entwicklungen in soziale, politische oder ökonomische Bereiche unseres Lebens ist im 21. Jahrhundert bereits soweit fortgeschritten, dass wir wie Sherryl Vint argumentiert, die SF als eine „mythologische Sprache der technoculture“ (2014, S.5f.) benötigen, um den rapiden Wandel unserer Realität zu verarbeiten. [6] Es ließe sich auch argumentieren, dass mit den komplexer werdenden Veränderungen unserer Zeit ein anderer kultureller Modus notwendig wird, damit wir die bestimmenden Hyperobjekte greifen können, d.h. Objekte die aufgrund ihrer Größe, Komplexität und Abstraktion für den menschlichen Geist in ihrer Gesamtheit nicht erfahrbar sind, also etwa der Klimawandel, eine Pandemie oder die Globalisierung (Morton 2013). Die SF fungiert ideal zur Modellierung von Hyperobjekten und macht diese überhaupt erst für den Einzelnen durch eine Form der Repräsentation erfahrbar (Schmeink 2020). Damit SF Aussagen zur Arbeit der Zukunft treffen kann, muss sie aber entsprechende Bedingungen erfüllen, etwa den aktuellen technologischen Status Quo zur Grundlage nehmen oder sich vornehmlich mit gesellschaftlichen Veränderungen beschäftigen. [7] Sie muss auf vorhandene Entwicklungen Bezug nehmen und im „was-wäre-wenn“-Modus die sozialen, ökonomischen und politischen Konsequenzen der ihr zu Grunde liegenden technologischen Veränderungen modellieren. Diese Art der SF kann dann als Indikator oder Vergrößerungsglas für Ängste und Hoffnungen unserer gegenwärtigen Gesellschaft dienen. Eine so differenzierte SF kann relevante Aussagen über mögliche Zukunftsentwürfe treffen. Doch nur ein Teil der auf dem Markt befindlichen SF wird diesen Ansprüchen gerecht.
So ist etwa eine historische Nähe notwendig, damit das soziokulturelle Umfeld der jeweiligen Entstehungszeit nicht zu sehr von unserem abweicht. Vor allem unter Betrachtung der SF als Einfluss auf gesellschaftliche Stimmungslagen ist es wichtig, dass die analysierten Texte möglichst zeitgenössisch sind. So sind die SF-Visionen der 1950er und 1960er Jahre stark vom Kalten Krieg und dem Konflikt zwischen Kommunismus und Kapitalismus geprägt, der nicht heutigen geopolitischen Ausgangslagen und sozialen Realitätskonstruktionen entspricht. Auch technisch stimmen die Zukunftsbilder der 50er/60er nicht mehr mit heutigen überein, beispielsweise in der häufigen Darstellung von Kernspaltung auch in privaten Kontexten als Energieträger, während Computer zumeist keine weite Verbreitung erfahren haben.
Historisch betrachtet bietet vor allem ein Modus der SF, der Cyberpunk, der in den 1980er und 1990er Jahren seinen Höhepunkt erlebt, gut geeignete Anknüpfungen an heutige Entwicklungen. So antizipieren die Zukunftsentwürfe des Cyberpunk, beispielsweise in Genre-definierenden Texten wie William Gibsons Neuromancer (1984), Neal Stephensons Snow Crash (1992) aber auch Filmen wie The Matrix (1999), vor allem die Veränderungen unserer Welt durch omnipräsente Informationstechnologie, mit der auch die Entstehung virtueller Parallelwelten (wie etwa das Internet oder neuerdings das Metaverse) verbunden sind. Darüber hinaus sind die Welten des Cyberpunk von einer neoliberalen, globalisierten Wirtschaftspolitik geprägt, die Konzerne – vor allem in der Tech-Branche – zu wichtigen politischen Akteuren aufsteigen lässt. Bezüge zur heutigen Zeit, vor allem in der Entwicklung bestimmter Technologien, sind deutlich erkennbar und werden im Projekt als historische Ankerpunkte eingebunden.
Dennoch sind Fiktionen der 1980er und 1990er Jahre geprägt von der Vision, dass Konzerne die politische Macht der Nationalstaaten überschatten werden, so dass heutige geopolitische Konflikte (zum Beispiel Russland/Ukraine, China/Taiwan) und das Wiedererstarken nationaler Bewegungen („America First!“) sich dort nicht spiegeln. Auch die starke Ausweitung kultureller Konflikte um soziale Gleichbehandlung und Identitätsdiskurse wie #MeToo, Black Lives Matter oder eine vermeintliche „Cancel Culture“ fehlen in der SF des letzten Jahrhunderts und sind erst in der gegenwärtigen SF thematisiert. Neuere Forschungen zum Cyberpunk sehen diesen die Begrenzungen des Genre-Begriffs verlassen und sich zu einem literarischen bzw. kulturellen Modus entwickeln (McFarlane, Murphy und Schmeink 2020): Elemente des Cyberpunk (wie etwa die Omnipräsenz von IT-Technologie oder die Ausrichtung auf posthumane Entwicklungen) finden sich im 21. Jahrhundert vermehrt auch in anderen Genres wieder und werden dort als Shorthand für bestimmte technologische Entwicklungen eingesetzt. Gerade weil die frühen Werke des Cyberpunk oftmals soziale, politische, aber auch ökonomische Entwicklungen des 21. Jahrhunderts nicht passend beschreiben, wurden in der Studie vor allem neuere Texte im Modus des Cyberpunk genutzt, beispielhaft Filme wie Sleep Dealer (2009), Elysium (2013), The Circle (2017), aber auch Romane wie Ernest Clines Ready Player One (2011), William Gibsons The Peripheral (2014), oder Theresa Hannigs Die Optimierer (2017).
Darüber hinaus ist nicht jede SF-Vision gleichermaßen dazu geeignet, Aussagen über Veränderungen im Umfeld von Arbeit zu treffen. Die Science-Fiction muss als ein Modus verstanden werden, „in dem sich unterschiedliche Genres manifestieren können“, sodass nicht alle Ausprägungen dem Anspruch genügen, sich primär mit gesellschaftlichen Veränderungen auseinanderzusetzen (Schmeink und Spiegel 2018). In Genres wie Action, Military, oder Crime etwa werden vorwiegend polizeiliche oder militärische Arbeit thematisiert, die sich in ihren grundlegenden Strukturen kaum von den gegenwärtigen Tätigkeiten der Polizei und des Militärs unterscheiden. Zwar ließen sich hier Aussagen über den Einsatz neuester Technologie oder veränderte politische Verhältnisse herausfiltern, doch der Fokus der meisten Fiktionen liegt auf Befehlshierarchien und der Lösung von Konflikten durch Gewaltanwendung. Ihre Aussagekraft für die Fragestellung der Studie ist nur gering. Ebenso wenig eignen sich typischerweise Space Operas oder „First Contact“ -Narrative, da erstere vor allem „abenteuerorientiert“ sind (Steinmüller 2016, S. 323) und in Letztere die aus wissenschaftlicher Sicht sehr unwahrscheinliche Wild Card der Existenz von Außerirdischen vorkommt. Zwar werden in der Zukunftsforschung Wild Cards besonders gerne aus SF-Visionen generiert, doch bewerten etwa Angela und Karlheinz Steinmüller das Szenario „E.T. ruft an“ nur mit einem von sieben Punkten in puncto Wahrscheinlichkeit und geben zu, dass hier selbst „Experten im Grunde nicht mehr als der Normalbürger“ (2004, S.90) wüssten. Aus diesem Grunde sind also auch gesicherte Extrapolationen über die Auswirkungen eines solchen Szenarios nur schwer wissenschaftlich begründbar oder ungenau und bleiben daher für die Zukunftsforschung problematisch.
Besser geeignet sind Fiktionen, in denen technologische Entwicklungen gesamtgesellschaftliche Veränderungen anstoßen. Hier ist vor allem das Genre der utopischen Literatur zu nennen, in dem wie Lyman Tower Sargent passend formuliert „eine nicht existente Gesellschaft, die in einigem Detailreichtum beschrieben ist“, die je nach Ausprägung „vom Autor dazu intendiert ist, von einem zeitgenössischen Leser als bedeutend besser wahrgenommen zu werden“ (Eutopie oder positive Utopie) oder eben „als bedeutend schlechter“ (Dystopie oder negative Utopie) (Sargent 2012, S. 111-112). Der von Sargent definierte „Detailreichtum“ ist hier wichtig, da er darauf verweist, dass Utopien eben zentral „soziale Gemeinschaften“ beschreiben und nicht individuelle Schicksale (2012, S. 108). Wie Leah Zaidi deutlich gemacht hat, liegt ein Vorteil in der Nutzung von SF für die Zukunftsforschung darin, Texte zu finden, die „eine Möglichkeit bieten, komplexe sozio-ökonomische und politische Systeme zu imaginieren und als Prototypen zu testen“ (2019, S. 17). Für das Projekt wurden in der neueren SF daher Texte ausgewählt wie Cory Doctorows Walkaway (2017), James Sullivans Die Stadt der Symbionten (2019), Marc-Uwe Klings Quality-Land (2017), Ada Palmers Terra Ignota-Serie (2016-21) oder die TV-Serien Black Mirror (2011-2019) oder The Expanse (2015-22). Kulturprodukte lassen sich aber nur selten unstrittig und eindeutig in solche Genre-Kategorien sortieren, so dass ein großer Gesamtkorpus (deutsch- und englischsprachiger SF nach 2000) dahingehend gesichtet wurde, ob relevante Aussagen zur Arbeit in der Zukunft getroffen werden. [8] Hieraus ergibt sich eine erste Stufe der Auswahl für das Projekt. Um die Projektionen zukünftiger Arbeit zu bündeln, wurde in einer zweiten Stufe die Textauswahl mit den Projektionen in Bezug gesetzt. So wurden mit Hilfe von Expert*innen-Interviews und in der Analyse von Zukunftsstudien aus den 1960er und 1970er Jahren (sog. Frühstudien) geprüft, ob neue bzw. weitere Einflussfaktoren zu berücksichtigen sind, die über die erarbeiteten Einflussfaktoren der zuvor erfolgte Literatursichtung hinausgehen. Gerade der weite Blick in Vergangenheit sollte u.a. aufzeigen, was bei den Frühstudien zu Fehlprognosen geführt hat. Die wenigen neuen Erkenntnisse, wie z.B. die Abwesenheit eines eindeutigen Technikautomatismus bzw. -determinismus gegenüber der Berücksichtigung menschlichen (Fehl-)Verhaltens in der Verbreitung von Technik, wurden aufgegriffen und in die im Folgenden beschrieben Methodik eingefügt.
3. Zur Verwendung der Szenario-Methodik
Je weiter der Blick in der Zukunft reicht, desto getrübter und unschärfer ist er aus heutiger Sicht. Wie also ist – mit Hilfe von Szenarien und Beiträgen aus der Science-Fiction – die Arbeitswelt im Übergang zum 22. Jahrhundert vorstellbar?
Mit der Szenariotechnik liegt eine in der Zukunftsforschung bewährte Methode vor, um auch langfristig angelegte Vorausschauen zu entwickeln. Wie in der Methodentheorie, z.B. nach dem Ansatz von Gausemeier et al. (2019, S. 123) beschrieben, sind wir auch innerhalb von FutureWork in fünf Schritten (Phasen) für die Szenarienentwicklung vorgegangen:
- Phase 1: Szenario-Vorbereitung
- Phase 2: Szenariofeld-Analyse
- Phase 3: Projektionsentwicklung
- Phase 4: Szenario-Bildung
- Phase 5: Szenario-Transfer [9]
3.1. Phase 1 und 2: szenariovorbereitung und szenariofeld-analyse
In Phase 1 galt es zunächst, das Zielfeld zu bestimmen und das Untersuchungsfeld zu analysieren. Während das Zielfeld, hier die Arbeit der Zukunft, bereits in der Phase der Projektentstehung so weit wie möglich eingegrenzt wurde („Arbeit im Übergang zum 22. Jahrhundert“), sind auf Basis ausführlicher Literaturrecherchen relevante Quellen zur Arbeitsforschung wie
- Grundlagenwerke zur Arbeitsforschung,
- Studien mit prognostischem Charakter zur Zukunft der Arbeit und
- Sonderthemen, wie z.B. die Veränderung der Arbeitswelt durch „neue Technologien“ und das SARS-CoV-2-Virus
ausgewertet und zusammengetragen worden.
Die anschließende Phase 2 diente der Analyse des Untersuchungsfeldes und damit der Bestimmung von Einflussbereichen und -faktoren. Hier wurde zunächst auf die STEEP-Analyse [10] zurückgegriffen.
Als Ausgangspunkt für eine grundlegende Strukturierung des Untersuchungsfelds nach Einflussbereichen und -faktoren war STEEP hilfreich, indes nicht ausreichend. Da die gegenwärtige und hypothetisch auch die zukünftige Arbeit durch individuelle bzw. „Mikro¬(soziologische)faktoren“ geprägt ist, wie beispielsweise Zufriedenheit im Job oder Zeitsouveränität, musste dieser methodische Ansatz erweitert werden. Wir haben zunächst auf Grundlage von deskriptiven Analysen untersucht, welche Umfelder und Faktoren für unsere Analyse bedeutsam sind und in welchem Zusammenhang sie stehen. Ergänzend wurden insgesamt 13 Expertengespräche auf Grundlage eines halb-offenen Interviewleitfadens geführt, um so die STEEP-Analysetabelle zu vertiefen. Im Rahmen qualitativ-bewertender Einfluss- und Relevanzanalysen, die einen wichtigen Teilschritt innerhalb der Szenariofeld-Analyse darstellen, wurde anschließend zum einen ein Ranking aller bis dato berücksichtigten Einflussfaktoren, zum anderen ein Überblick zu Positionen dieser Faktoren in einer graphischen Übersicht mit Bezug auf Relevanz, Einfluss und Einflussrichtung erstellt. Im Ergebnis konnte eine Auswahl von 32 sogenannten Schlüsselfaktoren (Deskriptoren; vgl. Tabelle 1) getroffen werden, die fünf inhaltlichen Kategorien zugeordnet und in ihrem aktuellen Stand (IST-Stand in Verbindung mit thematischer Abgrenzung und entsprechenden Quellenangaben) beschrieben wurden.
3.2. phase 3: projektentwicklung
In dieser Phase begannen wir Projektionen zu den Schlüsselfaktoren zu entwerfen, also der Aufstellung alternativer Zukunftsbilder. Bei der Ermittlung möglicher Zukunftsprojektionen ist erstens die Auswahl des Zeithorizonts relevant. Zweitens die Unterscheidung zwischen Schlüsselfaktoren, die messbar bzw. nicht messbar sind, also zu Projektionen führen, die auf einer quantitativen oder einer qualitativen Basis beruhen (Gausemeier et al., 2019, S. 130). Unser Zeithorizont „Übergang zum 22. Jahrhundert“ entspricht einer Perspektive, die weit in die Zukunft reicht und für quantitative Projektionen überwiegend ungeeignet erscheint. Daher wurden ausschließlich qualitative Projektionen entwickelt, zumal innerhalb der einbezogenen SF-Beiträge quantitative Aussagen bestenfalls indirekt ableitbar gewesen wären. [11]
Durch die Beschreibung des IST-Standes eines Schlüsselfaktors lag eine ausführliche, möglichst definitorische Darstellung vor, aus der sich mögliche Dimensionen ableiten ließen, die zusammengenommen ein Bewertungsportfolio ergeben. Aus der paarweisen Spiegelung von Dimensionen, also Gegenüberstellung von jeweils zwei Dimensionen konnten bis zu vier Projektionen abgeleitet werden.
Beispielsweise wurden für den Schlüsselfaktor Leistungskontrolle zwei Dimensionen gespiegelt: Leistungskontrolle vs. Datenschutz mit jeweils zwei Ausprägungen: niedrige/hohe Leistungskontrolle sowie ungeregelter/staatlicher Datenschutz (vgl. Tabelle 2).
Leistungskontrolle (niedrig) | Leistungskontrolle (hoch) | |
Datenschutz (ungeregelt) | In Abhängigkeit von handwerklichen, überwiegend selbst organisierten Arbeitsprozessen gegenseitige Kontrolle | Extreme Kontrolle (zeitlich, örtlich, Ergebnis) durch Digitalisierung/KI-Kontrolle („Maschinen überwachen Menschen“) |
Datenschutz (betrieblich/staatlich geregelt) | Ziel bzw. ergebnisorientierte Kontrolle (Status quo) | Entfällt |
Auf Basis dieser Gegenüberstellung wurden drei Projektionen für die weiteren Arbeitsschritte der Szenarioanalyse bestimmt, die wiederum im Anschluss an Diskussion im Projektteam und Expert*innen-Einschätzungen im Rahmen der Projekt-Fachtagung [12] entwickelt wurden; eine vierte Projektion wurde nach inhaltlichen Überlegungen verworfen. Diese Vorgehensweise wird von Lehrbüchern empfohlen (Gausemeier et al., 2019, S. 130) und in einer neueren Studie zu zukünftigen Arbeitswelten umgesetzt [13]. Die in diesem Untersuchungsschritt angewendete Methodik stützt sich daher auf relevante Empfehlungen aus Szenario-Theorie und -Analysepraxis.
Im Ergebnis konnten nach ausführlichen Diskussionen innerhalb des interdisziplinären Projektteams und unter Einbeziehung der Expert*innen-Einschätzungen konnten den 32 Schlüsselfaktoren insgesamt 103 Projektionen zugeordnet werden. [14]
3.3. phase 4: szenariobildung
Für die originäre Szenariobildung bzw. -berechnung kamen jeweils 25 ausgewählte Deskriptoren mit durchschnittlich drei Projektionen zum Einsatz. Alle Szenarien wurden mit der Szenariosoftware INKA (Version 4) errechnet.
In einem mehrstufigen Verfahren wurden die errechneten Szenarien anschließend mit der Statistiksoftware SPSS bearbeitet. Ziel war es, die von INKA berechneten multiplen Szenarien zusammenzufassen und anhand von relevanten Kriterien zu strukturiert. So kam u.a. das Verfahren der Multidimensionalen Skalierung (MDS) zum Einsatz, das einerseits hilft Ergebnisse zu clustern, und andererseits die zusätzliche Anwendung von Strukturierungskriterien vorhergehender Rechenschritte erlaubt. Die Abstände zwischen den Clustern verschiedener Szenarien zeigen somit auf, welche Szenarien homogen und heterogen sind, und welche gemessen an den Gütekriterien von INKA relevant sind. [15] Zusammenhänge und Unterschiede wurden damit deutlicher und erlaubten eine gezieltere Umsetzung von Ergebnissen in Inhalte. Die nachfolgende Abbildung 1 zeigt diesen Iterationsschritt beispielhaft auf, der für alle errechneten Szenarien durchgeführt wurde.
Als Ergebnis dieses mehrstufigen Prozesses lagen vier Szenarien vor, die den Gütekriterien der mathematischen und inhaltlichen Konsistenz entsprechen. Die Szenarien wurden anschließend im Rahmen von verschiedenen Präsentationen anhand von jeweils fünf Kerndeskriptoren, ihren Projektionen und den entsprechenden SF-Interpretationen aus Büchern und Filmen erläutert. [16] Die verwendeten Kerndeskriptoren, die für das jeweilige Szenario charakteristisch sind, wurden aus dem Pool aller für das Szenario verwendeten Deskriptoren selektiert. Ausschlaggebend für die Selektion der Deskriptoren waren verschiedene Bewertungskriterien aus der Einfluss- und Relevanzanalyse, die sich an den folgenden Fragen orientierten:
- Wie hoch ist die Relevanz des Deskriptors?
- Trifft er wesentliche Aussagen in Bezug auf den Untersuchungsgegenstand und auf das jeweilige Szenario?
- Wie stark ist der Vernetzungsgrad des Deskriptors?
- Wirkt er sich auf andere Faktoren ebenso aus, wie sich andere Faktoren auf ihn auswirken?
- Besteht eine ausreichende Trennschärfe zwischen den Kerndeskriptoren in Bezug auf das jeweilige Szenario?
Die verwendeten Szenarien umfassen (1) das Race to the Bottom-Szenario, (2) das Automatisierungsszenario (3) das KI-Technokratie-Szenario sowie (4) das Postwachstumsszenario. Die nachfolgende Tabelle 3 spezifiziert die Szenarien (sowie das im Folgenden erläuterte Wild-Card-Szenario) anhand ihrer Kerndeskriptoren und den relevanten Projektionen:
Race-to-the-bottom-Szenario | Automatisierungs-szenario | KI-Technokratie-Szenario | Postwachstums-Szenario | Wild-Card-Szenario Handwerkliche Entfaltung |
Beschäftigungsverhältnis = ohne festen Arbeitsvertrag / leistungsabhängig | Arbeitsteilung = Verdrängung durch Maschinen | Umweltschutztechnologie = ausschließlicher Einsatz erneuerbarer Energien | Betriebliche Struktur = dezentral vernetzt, individualisiert | Arbeitsteilung = Verwendung weniger komplexer Maschinen nur zur handwerklichen Unterstützung |
Regierungsform = Corporate-rule optimiert | Arbeitsumgebung (Tiefsee, Weltall) = völlig neue Arbeitsumgebungen | Souveränität = fremdbestimmte Arbeit | Soziale Sicherung = Grundeinkommen | Arbeitsumgebung = Produktion in Privathaushalten oder in individuelle eingerichteten Arbeitsstätten |
Globalisierung = Ausweitung der globalen Verflechtung | Arbeitsprozess = vollautomatisiert | Diversity Management = Diskriminierung überwunden | Kommodifizierung= Es gibt keine Erwerbsarbeit mehr | Arbeitsprozess = Auf Entfaltung ausgelegt |
Arbeitsschutz = individualisiert und im Bedarfsfall | Kommodifizierung = Zwangs-/Fronarbeit | Wirtschaftspolitik = Planwirtschaft (KI-gestützt) | Wirtschaftsordnung= Postwachstumsgesellschaft | Kommodifizierung= Kommunitarismus |
Kompetenz = einfache Befähigung | Leistungskontrolle = extreme Kontrolle | Regierungsform = Technokratie | Verfügbarkeit von Ressourcen= Es besteht keine Knappheit mehr | Leistungskontrolle = gegenseitige Kontrolle |
Das Wild Card-Szenario „Handwerkliche Entfaltung“ wurde nach weiteren Berechnungen im Rahmen eines Robustheitschecks [17] erstellt. Es wurde verwendet, um Entwicklungen zu antizipieren, die im Szenarioprozess zunächst ausgeklammert wurden und, um seine Folgen für die übrigen Szenarien zu analysieren.
3.4. einbindung von wild cards in die szenario-analyse
Um den Einfluss von Wild Cards in der Szenario-Analyse zu analysieren, wurde je Szenario eine einzelne dafür aber einflussstarke Wild Card berücksichtigt. [18] Diese sollte dem Charakter des Projektes entsprechend SF-Bezüge aufweisen oder aus der SF entlehnt sein. Hier folgt das Projekt Überlegungen der Zukunftsforschung, die in der SF ein „geistiges Labor für Gedankenexperimente“ (Steinmüller 2010, S. 20) sieht, welches „detailreiche, komplexe und ganzheitliche Weltentwürfe“ (Steinmüller und Steinmüller 2004, S. 59) schafft, die für die Entwicklung von Wild Cards ideal geeignet sind. Auch Blagovesta Nikolova sieht in der SF eine fruchtbare Ergänzung der Zukunftsforschung, u.a. zur Generierung von Wild Cards, da die SF wie keine andere Literaturform in der Lage sei „den epistemischen Horizont zu erweitern“ und so „kognitive Vorannahmen auszuschalten und organisationsbezogene Veränderungen herbeizuführen“ (2021, S. 94). Im Projekt haben wir uns an den Vorarbeiten von Steinmüller und Steinmüller (2003) orientiert, die empfehlen, Wild Cards für einen Robustheitscheck der entwickelten Szenarien einzusetzen: „Im Anschluss an die Konstruktion von Szenarien können Wild Cards eingesetzt werden, um Entwicklungen zu antizipieren, die im Szenarioprozess zunächst ausgeklammert wurden und um ihre Folgen für die Szenarien zu analysieren.“ (ebd., S. 54 ff.)
Die inhaltliche und konzeptionelle Entwicklung von Wild Cards ist innerhalb des Projektes FutureWork in mehreren Schritten durchgeführt worden:
- Sammlung von Vorschlägen auf einer projektbezogenen Fachtagung in 2020 durch eine schriftliche Befragung;
- Ergänzende Recherche und Vertiefung von Wild Cards auf Grundlage von Science-Fiction-Literatur, -Filmen und Studien aus den Bereichen Technologie, Ökonomie, Ökologie und Gesellschaft;
- Auswahl von Vorschlägen für Wild Cards im Kontext der Basisszenarien durch die Bewertung von Signifikanz und Wahrscheinlichkeit der ausgewählten Wild Cards innerhalb des Projektteams;
- Spiegelung der Wild Cards an den Projektionsbündeln, die den Basis-szenarien zugrunde liegen, und Analyse der Auswirkungen.
Nach dem Auswahlprozess wurden die folgenden Wild Cards berücksichtigt: „Genetische Optimierung von Pflanzen, Tieren und Menschen“, „Nanotechnologie für molekulare Bausteine zur flexiblen Erschaffung von Objekten“, „Unumkehrbare Erderwärmung auf tropische Temperaturen“ sowie „Zusammenbruch des Wirtschaftssystems in Verbindung mit sozialen Umbrüchen“.
Im Anschluss an die Auswahl der verwendeten Wild Cards erfolgte deren Einbindung in die Basisszenarien in drei Schritten: (a) die Veränderungsanalyse der Projektionen, (b) ihre Transformation anhand der szenariospezifischen Wild Card sowie (c) die Zusammenführung der transformierten und der bestehenden Projektionen. So konnte die Reaktion der Szenarien auf das Eintreten einer Wild Card untersucht werden. Darüber hinaus war es entsprechend einer Sensitivitätsanalyse möglich zu prüfen, wie stabil bzw. labil die einzelnen Deskriptoren und Projektionen sind. Dieses Vorgehen wird im Folgenden exemplarisch vorgestellt. [19] Die relevante Wild Card stammt aus dem Umfeld „Gesellschaft“ und ist dem Automatisierungsszenario zugeordnet führt dazu. Diese Wild Card führt dazu, dass sich Teile der Bevölkerung (in unserem Fall in Deutschland) aufgrund massiver ökonomischer Verwerfungen von der bestehenden wachstums- und technologiezentrierten Maschinenwirtschaft abkoppeln.
3.4.1. Veränderungsanalyse der Projektionen
Im ersten Schritt war zu prüfen, ob und wie sich die Projektionen der Deskriptoren in Folge des Eintretens der Wild Card verändern. Dementsprechend wurden alle ausgewählten Projektionen des Automatisierungsszenarios auf ihre Auswirkung durch das Ereignis an der Frage gespiegelt: Welche Projektionen innerhalb des Automatisierungsszenarios werden durch die Abkoppelung von der wachstums- und technologiezentrierten Maschinen-Wirtschaft so beeinflusst, dass sich eine Änderung der bestehenden Projektion ergibt?
Zunächst wurde nur die Anzahl der sich verändernden Projektionen betrachtet. So lässt sich frühzeitig eine Abschätzung treffen, in welchem Ausmaß ein Szenario von einer vorher festgelegten Wild Card betroffen ist. Jedoch sollte dieser erste Schritt nicht zu früh abgeschlossen werden, da es durchaus vorkommen kann, dass sich im Zuge der folgenden Projektionsinterpretationen rückwirkend Widersprüche identifizieren lassen, die auf zusätzliche Projektionsänderungen hindeuten. Daher erfolgten vorerst keine inhaltlichen Interpretationen.
Eine methodische Herausforderung lag darin, dass sich der Übergang des Automatisierungsszenarios ins entsprechende Wild Card-Szenario nicht Projektion für Projektion vollzieht, da das Gesamtbild und der Charakter der Szenarien entscheidend sind. Inhaltliche, auch hierarchische Zusammenhänge zwischen Deskriptoren und Projektionen waren zu berücksichtigen, um die Konsistenz des entstehenden Wild Card-Szenarios zu gewährleisten. Das komplexe Zusammenspiel der Deskriptoren und Projektionen kann also dazu führen, dass sich auch im Nachhinein noch Veränderungen ergeben.
3.4.2. Transformation der Projektionen
Die ausgewählten Projektionen des Projektionsbündels des „Automatisierungsszenarios“ wurden anschließend so transformiert, dass sie die Auswirkungen der Wild Card einbeziehen. Bei diesem Vorgehen werden – im Unterschied zur Generierung der Szenarien selbst – keine Berechnungen eingesetzt. Die Interpretation der sich verändernden Projektionen wird ausschließlich über die Vorstellungskraft umgesetzt. Wir haben an dieser Stelle von einem Austausch mit allen Projektbeteiligten profitiert, um verschiedene Optionen auszuloten. Wie bei der Festlegung der Wild Cards selbst, werden die Resultate bei der Interpretation der Veränderungen durch die eigene Imagination geöffnet oder limitiert.
3.4.3. Zusammenführung der transformierten und der bestehenden Projektionen
Im abschließenden Schritt findet die Zusammenführung der transformierten und der bestehenden Projektionen statt. Im konkreten Fall beschreibt das neu entstandene Projektionsbündel des Wild Card-Szenarios ein verändertes Zukunftsbild. Dies basiert auf dem Automatisierungsszenario, wie es nach dem Eintreffen eines sozial-ökonomischen Umbruchs aussehen kann, mit der Folge einer erfolgreichen Abkoppelung von der wachstums- und technologiezentrierten Maschinen-Wirtschaft. Verändert wird damit die gedankliche Grundlage des Automatisierungsszenarios elementar. Beruhte das Ursprungsszenario in erster Linie auf technologischer Weiterentwicklung, so beinhaltet dieses neue Szenario „Handwerkliche Entfaltung“ einen gesellschaftlichen Kern mit dem eine Rückbesinnung auf traditionelle Herstellung eintritt, deren Antriebsfeder nicht steigende Effizienz und die Ökonomisierung der Gesellschaft ist, sondern die arbeitsspezifische Entfaltung mit einer nicht ausschließlich an Leistung orientierten Kontrolle. Das handwerkliche Entfaltungsszenario besteht aus 15 veränderten und 10 konstanten Projektionen des Basisszenarios. Wie aus Tabelle 2 hervorgeht, wurden hierfür die Projektionen der Kerndeskriptoren verändert.
Ein „neues“ Szenario entsteht für uns aber erst dann, wenn mehr als die Hälfte der Projektionen durch die Wild Card verändert wurden, also tiefgreifende Auswirkungen auf das Basisszenario erkennbar sind. Da im hier verwendeten Beispiel Automatisierungsszenario 60 Prozent der ursprünglichen Projektionen durch die Einführung der Wild Card verändert wurden, hat das zu einem neuen Szenario geführt. Die Konsistenz des Wild Card-Szenarios haben wir wiederum im Rahmen der verwendeten Szenariosoftware INKA auf seine (mathematische) Güte hin überprüft und sind zu einem akzeptablen Ergebnis gelangt. Die vier Basis-Szenarien konnten daher um ein fünftes sogenanntes Wild Card-Szenario (Handwerkliche Entfaltung) ergänzt werden. Wild Cards die zu Veränderungen unter dem Grenzwert von 50 Prozent geführt haben, wurden von uns als Exkurse bei der Verschriftlichung der übrigen drei Basisszenarien berücksichtigt.
Abbildung 2 fasst die zentralen Schritte des Einsatzes von Wild Cards noch einmal zusammen.
Das hier entwickelte Verfahren erlaubt durch die deskriptor- bzw. projektionsweise Analyse der Wild Card-Auswirkungen eine Reduktion der Wild Card-Szenario-Kombinationen auf eine überschaubare Anzahl, die gleichwohl ein weites Denkspektrum abdeckt. Die Inspiration von Wild Cards aus der Science-Fiction-Literatur ebenso wie die Konkretisierung dieser und der zuvor genannten Prozessschritte sind übertragbar auf zahlreiche andere Thematiken diesseits und jenseits der Zukunftsforschung, wie abschließend dargestellt wird.
4. Zusammenfassung und weitere Überlegungen
Mit unserem Beitrag konnten wir aufzeigen, wie ein explorativer, methodischer Ansatz in der Zukunftsforschung zum Einsatz kommt, der eine bewährte fachspezifische Methodik mit einer literatur- und kulturwissenschaftlichen Analyse verbindet. Unser methodischer Ansatz vereint durchaus etablierte analytische Elemente, die in dieser Kombination zuerst im BMBF geförderten Projekt FutureWork umgesetzt wurden. In der Erstellung unserer Szenarien haben wir uns nicht darauf verlassen, die Ergebnisse ausschließlich diskursiv bzw. hermeneutisch herzuleiten, sondern zunächst den Weg der systematisch-formalisierten Szenariotechnik gewählt. [20] Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass relevante, das Untersuchungsfeld prägende Faktoren zunächst definiert, bewertet und dann vergleichend gegenübergestellt werden. Dabei sind auch eigene Daten zum Einsatz gekommen, allerdings nur im Rahmen vorbereitender Schritte der Szenario-Methodik und nur als Bewertung von Faktoreneigenschaften auf ordinalem Niveau. [21] Wir folgen hier der Argumentation von Zukunftsforschern wie Steinmüller, Zaidi oder auch Schwarz, die in der SF vor allem durch ihre narrative Struktur einen großen gesellschaftlichen Einfluss sehen. Zaidi etwa schreibt dazu, dass moralische Lehren besser aufnehmbar seien, wenn sie in Form von Narrativen vermittelt würden: „unser Gehirn zeigt dann eine erhöhte Aktivität und wir beschäftigen uns intensiver mit dem Thema als wir es sonst tun würden“ (Zaidi 2019, S. 15).
Dessen ungeachtet war dieses systematische und formalisierte Vorgehen zeitaufwendig und anspruchsvoll. Beispielsweise war die paarweise Bewertung aller 32 Deskriptoren und 103 Projektionen in einer Matrix ein mehrere Personen beanspruchender Prozess, der zu über 1600 Bewertungen führte. Durch den Einsatz verschiedener Erhebungs- und Auswertungsmethoden in einem „Methoden-Mix“ und mit gut strukturierten Zwischenergebnissen war es anschließend möglich, unterschiedliche wissenschaftliche Herangehensweisen in einem Projekt zusammenzuführen. So können wir konstatieren, dass, trotz des anspruchsvollen Analysehorizonts („Übergang zum 22. Jahrhundert“), Ergebnisse und Aufwand in einem komplementären Verhältnis zueinanderstehen.
Belegt ist, dass Science-Fiction nicht nur Auswirkungen auf das Zukunftsbild ihrer Leser*innen und deren Zukunftserwartungen haben kann, sondern sie hat immer wieder auch nachweisbare Anstöße für technologische Entwicklungen und konkrete Produkte gezeitigt (Distrelec 2018). Wir haben darüber hinaus aufzeigen können, dass in der SF bzw. den zugrundeliegenden Medien, hier vor allem Literatur und Filme, auch ein ungewöhnlich großer Fundus an Zukunftsvisionen existiert, der für konkrete Fragestellungen in der Zukunftsforschung bzw. von Projektionen nützlich sein kann. Damit SF-Aussagen für den Forschungsprozess gewinnbringend eingesetzt werden können, wie in unserem Beispiel zur Arbeit der Zukunft, müssen diese entsprechende Bedingungen erfüllen: Etwa den aktuellen technologischen Status Quo zu Grunde legen oder sich vornehmlich mit gesellschaftlichen Veränderungen beschäftigen. Sie müssen auf vorhandene Entwicklungen Bezug nehmen, und im „Was-wäre-wenn“-Modus die sozialen, ökonomischen und politischen Konsequenzen der ihr zu Grunde liegenden technologischen Veränderungen modellieren. Diese Art der SF kann dann als Indikator oder Vergrößerungsglas für Ängste sowie Hoffnungen unserer gegenwärtigen Gesellschaft dienen und relevante Aussagen über mögliche Zukunftsentwürfe treffen.
Unser Beitrag hat nicht nur das Ziel, zentrale Schritte der Untersuchung und Ergebnisse vorzustellen, sondern auch die Übertragbarkeit von Erkenntnissen aus der Projektarbeit auf andere Felder der Zukunftsforschung diskutieren. In seinem Überblicksbeitrag zur Zukunftsforschung stellt Kreibich fest, dass die Zukunftsforschung „…nicht auf bestimmte Themen festgelegt [ist, sich] gleichwohl […] eine Reihe von Themenfeldern ausmachen [lässt], die schon immer im Zentrum ihres Interesses lagen“ (Kreibich 2006, S.9). Dazu gehören:
- Technikentwicklung, Technikfolgenabschätzung,
- Probleme der Bevölkerungsentwicklung, Beseitigung von Hunger und Erfüllung von Basisbedürfnissen
- Steuerungsfähigkeit demokratischer Gesellschaften im Hinblick auf Langzeitentwicklungen und Langzeitfolgen
- Bürokratisierung und Entbürokratisierung
- Konfliktforschung, Hochrüstungswettlauf, Friedens- und Abrüstungsstrategien,
- Internationale Beziehungen und Institutionen
- Neue Bildungs- und Erziehungssysteme
- Wirtschaftswachstum und ökologische Folgen
- Ressourcenverbrauch und globale Umweltbelastungen
- Zukunft der Arbeit und der Arbeitsorganisation (Arbeit, Beruf, Freizeit)
In Bezug auf die Science-Fiction und deren Verwendung in der Zukunftsforschung sollte der individuelle Fall immer abgewogen werden. Zwar gibt es aufgrund der kreativen Vielfalt des Genres zu jeder Fragestellung ein denkbares SF-Szenario, jedoch sind anekdotische Aussagen der SF aus Forschungssicht nicht relevant. Generell muss festgestellt werden, dass die SF dann eine Bereicherung der Zukunftsforschung darstellt, wenn es um qualitative, eher auf gesellschaftliche Bereiche bezogene Aussagen geht. Wir gehen davon aus, dass in den durch quantitative Daten und Modelle geprägten Langfristprognosen zur Bevölkerungsentwicklung oder zum Klimawandel die SF bestenfalls eine unterstützende Rolle im erläuternden „Was wäre wenn“-Fall einnehmen kann. Das gilt noch mehr für eine auf (betriebs-) wirtschaftlichen Fragen ausgerichtete Zukunftsforschung wie die Einführung bestimmter Produkte, Marketingstrategien, Change Management von Firmen (Schwarz/Hofmann 2019). Insofern haben die in Abschnitt 2 getätigten Einschränkungen in der Auswahl der SF Bestand. Der kulturelle und historische Kontext sollte Bedacht werden, ebenso wie die Fokussierung der Fragestellung. SF ist weniger geeignet, konkrete Handlungsempfehlungen auf individuellen Ebene zu tätigen, als auf der gesellschaftlichen Ebene verschiedene Szenarien durchzuspielen. Das wird am Beispiel konkreter Technologien deutlich. So kann die SF nur schwer die von Tech-Industrie und (neo-)liberalen Verfechtern stets angemahnten Zukunftstechnologien zur Umkehr des Klimawandels imaginieren – z.B., ob und welche noch nicht entwickelte Technologie zukünftig das CO2 aus der Atmosphäre binden kann. Was die SF aber zu vermitteln vermag ist eine Vielzahl von Szenarien, wie Gesellschaften (und mitunter auch die Menschen selbst) sich verändern, wenn wir unterschiedliche technologische, politische oder ökonomische Wege einschlagen. [22] Diese Vielfalt der Szenarien erlaubt es, Ängste und Hoffnungen zu spiegeln, aber auch bestimmte Projektionen (wie zuvor in Abschnitt 3.2 beschrieben) und deren Wahrscheinlichkeiten zu bewerten. Als konkretes Beispiel sei hier aus dem FutureWork-Projekt die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens genannt, das in der SF häufig als zentraler Faktor einer zukünftigen Arbeits- und Sozialpolitik diskutiert wird. Abschließend möchten wir unseren Beitrag wie folgt zusammenfassen:
- Die Kombination systematisch-formalisierter Szenario-Methodik mit diskursiven Elementen ist zwar aufwendig, aber sehr ertragreich, weil damit im Projekt FutureWork die Grundlagen für eine strukturierte Verbindung von Deskriptoren, Projektionen sowie Text- und Filmelementen der SF entwickelt wurde.
- Damit SF-Aussagen für den Forschungsprozess gewinnbringend eingesetzt werden können, sollten diese mit Bezug auf die im Fokus stehende Thematik einschlägig und wissenschaftlich belastbar sein, sodass eine tragfähige Kodierung gelingt.
- SF bereichert Zukunftsforschung vor allem dann, wenn es um gesellschaftliche Fragestellungen geht, die darauf abzielen, größere soziale, ökonomische und politische Strömungen zu erforschen: Z.B. die Spaltung der Gesellschaft entlang bestimmter Bruchlinien, die Folgen des Klimawandels oder die der Globalisierung, Posthumanität (durch Genetik oder KI) und deren Einfluss auf Gesellschaft.
- Zu berücksichtigen sind bei der Übertragung von SF-Inhalten auf wissenschaftliche Fragestellungen unterschiedliche kulturelle, zeitbezogene, historisch gewachsenen Prägungen. Mithin sind SF-Aussagen mit Blick auf den jeweils herrschenden Zeitgeist einzuordnen.
Literaturverzeichnis
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PD Dr. Oliver Pfirrmann, Lecturer an der FU Berlin, Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften.
Email: opfirr@zedat.fu-berlin.de; c/o: Ihnestraße 22, Raum 220, 14195 Berlin
Dr. Lars Schmeink, Researcher in Futures Studies am Institut für Systemarchitekturen in der Luftfahrt.
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR); Email: lars.schmeink@dlr.de.
[1] Der Forschungsverbund umfasste Partner aus Bonn/Bad-Neuenahr, Karlsruhe, Hamburg und Bremen. Das dieser Veröffentlichung zugrunde liegende Vorhaben wurde mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter dem Förderkennzeichen 02L18A510 gefördert. Die Verantwortung für die Inhalte liegt bei den Autoren. [2] Eine der wenigen Ausnahmen, die wir vorfanden, war eine Studie aus der Schweiz, in der eine Vorausschau zur Arbeitswelt mithilfe von SF-Literatur erstellt wurde (Wolf, Klotz, und Baumann 2018). [3] [Alle Übersetzungen wurden von mir vorgenommen, LS]. [4] Ein zentrales Leitmotiv für FutureWork war, nicht von wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen und ökonomischen Eckdaten in die Zukunft zu schauen, sondern sich, gerade mit Blick auf den weiten Betrachtungshorizont, von diesen zu lösen. In der Interpretation von Yogeshwar ist das „Neue“, in diesem Fall für die Zukunft der Arbeit, kein Erweiterungspaket in einer Welt, die so bleibt wie sie ist, sondern das „Neue“ hat in unseren Szenarien auch Menschen und die Gesellschaft, in der sie leben, verändert (vgl. Yogeshwar 2017, S.76). Dazu gehörte im Kontext einer möglichst umfassenden Betrachtung der „modernen Arbeitsgesellschaft“ mit ihren vielfältigen und interdependenten Mechanismen auch der Bezug zwischen Kunst und Technologie z.B. in Form von „Undenkbarem“, wie es auch die SF in vielerlei Hinsicht bereithält. [5] Hier wird populärwissenschaftlich oft auf die Distanz-Übertragung von Menschen verwiesen („beamen“) oder das Speichern menschlicher Gehirne auf Computern („upload“), an denen in der Wissenschaft immer wieder gearbeitet wird; die Wechselbeziehungen von SF und realer Technikentwicklung zeigt Steinmüller (2010) besonders gut am Beispiel der Raumfahrt auf. [6] Vint bezieht sich in ihren Ausführungen auf die Theorie von Alvin Toffler (Future Shock, 1970) nach der westliche Kulturen aufgrund des schnellen technologischen Wandels ein gesellschaftliches Trauma erleben, und versteht die SF als Möglichkeit dieses Trauma kulturell aufzuarbeiten. [7] Siehe hierzu etwa die Ausführungen von Steinmüller zu den „drei Polaritäten“ der SF: „extrapolative vs. disruptive SF“, „Hard SF vs. Social SF“ und „Abenteuerorientierung vs. Erkenntnisorientierung“ (2016, S. 323). Steinmüller führt nicht näher aus, welche Kategorien für die Zukunftsforschung besser oder schlechter geeignet sind, außer mit dem Hinweis darauf, dass es der Zukunftsforschung um die Ideen und Erkenntnisse der SF geht (und damit implizit nicht um deren Abenteuer-Gehalt). [8] Als Hinweis sei hier noch vermerkt, dass die Studie sich in ihrer Auswahl aus Zeit- und Kapazitätsgründen auf Literatur und Film/TV als Kulturproduktionen beschränkt. [9] Aus Platzgründen und für eine bessere Übersicht wird an dieser Stelle auf die Schritte 1 bis 4 näher eingegangen. Ausführliche Informationen zu allen methodischen Schritten finden sich unter: Pfirrmann et al. (2022, S. 119 ff.). [10] Die STEEP-Analyse ist ein Modell der externen Umweltanalyse unter Berücksichtigung soziologischer, technologischer, ökonomischer, ökologischer und politischer Einflussfaktoren (in Englisch: Sociological, Technological, Economical, Ecological and Political Change = STEEP). [11] Bspw. durch die Ableitung von Vollbeschäftigungsgrößen in Wirtschaftssystemen in denen Arbeitslosigkeit nicht mehr vorkommt. Zur Einbindung von SF in die Projektionen siehe auch den vorangehenden Abschnitt 2. [12] Die Fachtagung wurde im Zeitraum Ende April bis Juni 2020 mit 124 Teilnehmer*innen digital durchgeführt. [13] Vergleichbar Burmeister et al. (2019, S. 111ff.) haben wir uns im Projektteam gefragt, anhand welcher zwei Dimensionen sich die Entwicklung eines Schlüsselfaktors am besten beschreiben lässt und wie sich die Menge möglicher Projektionen auf ein inhaltlich und methodisch vertretbares Maß reduzieren lässt, da bei entsprechenden Berechnungen empfohlen wird, max. drei Projektionen für eine akzeptable Rechenzeit zu verwenden (Szenariosoftware INKA 4. Benutzerhandbuch, 2020, S 14ff). Entsprechend haben wir die Schlüsselfaktoren dann in einer 4-Felder-Matrix abgebildet und daraus Zukunftsprojektionen abgeleitet. [14] Theoretisch wären bei 32 Schlüsselfaktoren und jeweils Spiegelung von zwei Dimensionen eines Schlüsselfaktors in einer 4-Feld-Matrix 128 Projektionen entstanden. Durch interne Plausibilitätsprüfungen und Bewertungen der Expert*innen wurde diese Anzahl auf 103 reduziert, was wie zuvor ausgeführt, die Rechenarbeit erleichtert hat. [15] Die horizontale und die vertikale Achse fungieren dabei als Skalen, auf der die Streuung der Analyseelemente (hier: Szenarien) in einem zweidimensionalen Raum verdeutlicht wird. Prinzipiell werden in Abhängigkeit von der Analyse die Analyseelemente nach ihrer Ähnlichkeit durch den MDS-Algorithmus in diesem Raum sortiert. Ein Cluster soll möglichst in sich homogen sein und heterogen gegenüber anderen Clustern sein. Eine feste Achsenzuordnung existiert nicht. Im hier vorgestellten Beispiel können als Interpretationshilfe die Gütekriterien der verwendeten Szenariosoftware INKA genutzt werden: Konsistenzsumme und Konsistenzdurchschnitt, d.h. je ähnlicher sich die Szenarien in Bezug auf diese beiden Gütekriterien sind, desto dichter liegen sie (in einem Cluster) beieinander. [16] Bspw. auf der öffentlichen Abschlusskonferenz zum Projekt FutureWork am 17.9.2021 in Karlsruhe; https://arbeit2100.de/oeffentliche-konferenz-2021-programm/, zuletzt abgerufen am 30.3.23. [17] Siehe dazu nachfolgendes Kapitel 3.4. [18] Tatsächlich wurden nach Recherchen und Befragungen insgesamt acht Wild Cards für eine vertiefende Untersuchung berücksichtigt; siehe nachfolgende Erläuterungen. Mithilfe einer projektinternen Befragung ist dann jeweils eine Wild Card je Szenario ausgewählt worden; siehe dazu ausführlich Pfirrmann et al. (2022, S.197ff). [19] Siehe hierzu auch den Beitrag: Pfirrmann, O., Stuhm, P., Möhrle, M. G., Kronemeyer, L.: Wie Wild Cards unsere Zukünfte ändern. Eine Methode zur Integration von unerwarteten, aber möglichen Ereignissen in den Szenario-Prozess. In: Jürgen Gausemeier, Wilhelm Bauer, Roman Dumitrescu (Hrsg.), 16. Symposium für Vorausschau und Technologieplanung (Bd. 400), Paderborn, 2021, S. 403-424, in dem dieses Vorgehen einer breiten wissenschaftlichen Öffentlichkeit präsentiert worden ist. [20] Vgl. dazu ausführlich: Kosow, H., R. Gaßner (2008): Methoden der Zukunfts- und Szenarioanalyse. Überblick, Bewertung und Auswahlkriterien. Berlin, S. 17ff. [21] Gemeint sind hier Bewertungen im Rahmen der Relevanz- und Einflussanalysen; darüber hinaus hat FutureWork Befragungsdaten von Teilnehmern einer Projektveranstaltung sowie aus Experten*inneninterviews genutzt. [22] Siehe dazu die Arbeit der Arizona State University, die mit dem Julie Ann Wrigley Global Futures Laboratory und dem Center for Science and the Imagination (https://csi.asu.edu/) wichtige Impulse in der Verbindung von Geistes- und Naturwissenschaften setzt. Das CSI nutzt dabei explizit die spekulative Imagination der SF, um Zukunftsforschung zu betreiben und veröffentlicht Sammlungen mit Szenarien zum Klimawandel und alternativen Energien. Vgl. u.a. Eschrich, J. und C.A. Miller 2021. Cities of Light: A Collection of Solar Futures, Print-on-Demand. https://csi.asu.edu/books/cities-of-light/.
Zum vielfältigen Einsatz von SF in der Zukunftsforschung aus kulturwissenschaftlicher Perspektive Grillmayr, J. 2021. Fiktionales Arbeiten an der Zukunft der Arbeit. In: Schneider R. & Schmeink L. (eds.) 2021. Future Work : Die Arbeit von übermorgen. 15 Kurzgeschichten aus der Zukunft. Karlsruhe: KIT Scientific Publishing. DOI: https://doi.org/10.5445/KSP/1000134596 oder aus der Perspektive eines global aufgestellten Automobilkonzerns: Schwarz/ Hofmann (2019).
Ursprünglich erschienen in der Zeitschrift für Zunkunftsforschung, Ausgabe 1/2023