Review of Sisterhood, Science and Surveillance in Orphan Black: Critical Essays
In seiner Studie Editing the Soul: Science and Fiction in the Genome Age zur Darstellung biotechnologischen Fortschritts in der Populärkultur beschreibt Everett Hamner die von BBC America produzierte TV-Serie ORPHAN BLACK (CA 2013–17, Idee: Graeme Manson und John Fawcett) als »unusually informed biotechnological speculation« (27), die sich durch eine realistische Nähe zur Wissenschaft auszeichnet und damit als »genetic realism« (93) zu verstehen sei. Janet Brennan Croft und Alyson R. Buckman, die Herausgeberinnen des vorliegenden Bandes, wiederum bezeichnen die Serie als »ground-breaking« (1), vor allem deswegen, weil sie sich auf radikale Weise zentraler Themen annehme, die ansonsten in Medienproduktionen eher konservativ dargestellt würden: Die Serie »reflects contemporary concerns about corporatization of science and ethics, the role of the military, sexual and gender equality, and toxic masculinity« (1). Gerade die abweichende Behandlung aktueller politischer Konflikte ist es, die der Biopunk-Serie eine besondere Rolle in der zeitgenössischen Serien-Produktion zukommen lässt und sie damit zu einem interessanten Objekt wissenschaftlicher Untersuchungen macht, was auch Croft und Buckman mit dem Hinweis auf sieben seit 2016 bereits erschienenen Sammelbänden zu ORPHAN BLACK ansprechen (3).
Sisterhood, Science and Surveillance konzentriert sich entsprechend auf diese kontroversen Themen und versucht in elf Beiträgen aus Sicht der Kulturwissenschaften neue und spannende Analysen zur Debatte beizutragen. Vor allem der große Komplex Gender/Sexualität/Identität spielt im Band eine gewichtige Rolle und steht in sechs Beiträgen im Vordergrund. Hinzu kommen einzelne Kapitel, die sich mit Mythologie, Überwachung, Trauma, Visual Effects und Eugenik beschäftigen. Was schon an dieser kurzen Aufzählung deutlich wird, ist das Fehlen einer übergeordneten Struktur, die den etwas disparaten Beiträgen eine stärkere Rahmung hätte verleihen können. Zwar sind alle Beiträge von hohem wissenschaftlichem Niveau, stehen aber oftmals recht einsam im Buch, das insgesamt einen roten analytischen Faden vermissen lässt. Dennoch muss man hier betonen, dass die einzelnen Beiträge wichtige und erhellende Analysen liefern, die auch ohne Rahmung neue Erkenntnisse zum kulturellen Potenzial der Serie bergen.
Die beiden ersten Beiträge im Band, von Graeme Wilson und Dani Howell, kann man als Pro-und-contra-Austausch verstehen, der die Frage einer möglichen feministischen Lesart der Serie stellt. Wilson argumentiert dafür, ORPHAN BLACK als Beispiel progressiven Feminismus zu sehen, weil die Serie komplexe Frauenfiguren in den Klonen zeichnet, Gender-Stereotype unterwandert, Darstellungen von Mutterschaft deutlich jenseits bestehender Hollywood-Klischees ermöglicht und toxische Maskulinität anprangert. Howell wiederum sieht den Feminismus der Serie problematischer (ohne sich dabei direkt auf Wilson zu beziehen). Sie erkennt zwar ebenso komplexe Frauenfiguren, sieht aber auch Defizite. Etwa in der geringen Repräsentation nicht-weißer Frauen, der Konzentration auf westliche Schönheitsideale oder auch der Darstellung von Sexualität, die heterosexuelle Körperlichkeit zulässt, aber gelebte homosexuelle Körperlichkeit nur andeutet. An den beiden Essays erkennt man deutlich, dass ein Kulturprodukt einerseits in bestimmten Punkten progressive Politik vertreten, in anderen aber dennoch den Ansprüchen einer intersektionalen Gleichstellung nicht gerecht werden kann.
Mit Erin Bell, Jenny Bonnevier und Laine Zisman Newman greifen gleich drei weitere Beiträgerinnen noch einmal das wichtige Motiv der Mutterschaft auf und diskutieren die unterschiedlichen Klone und ihr Verhältnis zum Feminismus und den Erwartungen an die Rolle der Mutter (Bell), die Beziehung von Biologie und sozialen Rollen in der Frage der Familie (Bonnevier) sowie den Komplex Trauma, Wiedergutmachung und biologisches Erbe (Zisman Newman). Und hier verdeutlicht sich das Problem der fehlenden Rahmung: Drei Beiträge, die alle auf ähnliche Weise einen Themenbereich abdecken, sind für den schmalen Band zu viel und führen zu einem Ungleichgewicht.
Zwei Beiträge, von Janet Brennan Croft und Jennifer DeRoss, wagen Fallstudien über einzelne Klone in der Serie, verzichten also auf größere Abhandlungen zugunsten detaillierter Einblicke in die Figuren selbst. Croft dekonstruiert die Figur der Helena im Rahmen einer mythopoetischen Analyse als Kore-Figur, die in der Serie in verschiedensten Situationen den Weg in die Unterwelt antreten muss, um daraus gestärkt und gewandelt hervorzugehen. DeRoss wiederum widmet sich der Figur M.K., die in ORPHAN BLACK als Nebenrolle angelegt ist, aber in den zur Serie erschienen Comics eine wichtige Vorgeschichte erhält und dabei sich und ihre Klonschwestern durch Aneignung einer negativ besetzten Identität (des Schafes) gegenüber dem skrupellosen Biotech-Konzern ermächtigt.
Die weiteren Beiträge stehen für sich allein, bieten aber dennoch interessante Analysen. Brandi Bradley nutzt Michel Foucaults Theorien, um die Überwachung und Kontrolle der Klone durch das Dyad Institute zu analysieren. Alyson Buckman beschäftigt sich mit dem in der Serie allgegenwärtigen Trauma und dessen Verarbeitung durch die Charaktere. Und Jessica Lee Mathiason wagt einen tiefen Blick in die Idee der Eugenik, die vor allem in den späteren Staffeln der Serie anhand der Castor-Linie männlicher Klone diskutiert wird.
Der wohl am deutlichsten aus den Analysen der übrigen Kapitel herausstechende Beitrag stammt von Bronwen Calvert, die sich als einzige Beiträgerin mit einem Aspekt der Medienproduktion beschäftigt und analysiert, wie die Serie es schafft, verschiedene Klone gleichzeitig auftreten zu lassen und so durch filmtechnische Effekte Körper multipliziert. Die Analyse ist deswegen so zentral, weil durch Visual Effects die Kategorien von Schauspiel, Schnitt, und Postproduktion verschwimmen und neue Repräsentationsmöglichkeiten entwickelt werden. In ORPHAN BLACK etwa wird die Schauspielerin Tatiana Maslany durch den Einsatz von Technologie vervielfacht und so zu einem »digital-human hybrid« (153), was durch die Erzählung der Serie noch weiter verkompliziert wird, wenn ein Klon sich als ein anderer ausgibt. Die Konsequenzen dieser »diegetic and non-diegetic multiplicity« (156) für Identität, Verkörperung und Posthumanität sind angesichts der sich dramatisch verändernden digitalen Technologien von großer Bedeutung für zukünftige filmwissenschaftliche Betrachtungen.
Wie deutlich geworden sein sollte, fällt der Beitrag von Calwert aus dem vergleichsweise losen Rahmen des Bandes heraus, während das Thema Mutterschaft mit drei (bis vier) Kapiteln stark überrepräsentiert ist. Vielleicht ist es unvorhergesehenen Absagen im Prozess der Herausgeberschaft zu verdanken, vielleicht waren andere Einreichungen einfach nicht stark genug – so oder so ist der Band etwas aus dem Gleichgewicht geraten. Die Dominanz des Themas Gender/Identität ist der Serie ORPHAN BLACK angemessen, doch wirken die anderen Beiträge zu Überwachung oder Eugenik damit etwas deplatziert. Das ist schade, denn sie bieten interessante neue Perspektiven auf wichtige Aspekte aktueller biotechnologischer Forschung und deren gesellschaftlicher Einflüsse. Wer sich also für aktuelle Themen wie Genetik interessiert oder auf der Suche nach Forschungsmaterial zu Biopunk ist, der wird hier fündig. Insgesamt sind die Beiträge gut erarbeitet und von hoher Qualität – und weil die Serie als echtes Highlight im Science-Fiction-TV gelten kann, wird der Band hoffentlich Teil eines wachsenden Forschungsbestandes werden.
Im Original erschienen in der Zeitschrift für Fantastikforschung:
Schmeink L., (2021) “Review: Sisterhood, Science and Surveillance in ORPHAN BLACK: Critical Essays, hg. von Janet Brennan Croft und Alyson R. Buckman, McFarland, 2019. 214 S.”, Zeitschrift für Fantastikforschung 8(1). doi: https://doi.org/10.16995/zff.3422