Mit seinem Buch Deleuze and Baudrillard zeichnet Sean McQueen Bewegungen kritischer Positionen nach, wie sie in den letzten Jahrzehnten die intellektuelle Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kultur bestimmt haben. Seine Arbeit fokussiert dabei eine Entwicklung, die am besten anhand der sie eingrenzenden Pole beschrieben ist – er selbst formuliert sie als ein „cognitive mapping of the transition from late capitalism to biocapitalism“ (S.1).

Doch dies sind nicht die einzigen Pole, vielmehr bewegt sich die Arbeit zugleich auch fokal zwischen den großen Persönlichkeiten Jean Baudrillard und Gilles Deleuze, historisch zwischen dem 20. und dem 21. Jahrhundert, methodisch zwischen marxistischer Kritik und psychoanalytischer Theorie und in seinem Objekt zwischen Literatur und Film. In der gedanklichen Konzeption lässt sich McQueens Werk zwischen control und contagion verorten, wie er auch seine zwei Hauptabschnitte betitelt. Vor allem aber bewegt sich die Arbeit zwischen Cyberpunk und Biopunk, zwei Subgenres der Science-Fiction, die McQueen als logische lineare Entwicklung versteht. Folgt man McQueen, so stellen sich die Genres als symbolische Bühne dar, auf der sich die oben genannten geistesgeschichtlichen Verwandlungen darlegen lassen. So spricht er vom „becoming-Deleuzian“ (S. 2) der Science-Fiction, vom Zerfall der akademischen Faszination mit Baudrillard’schen Simulakren und dem ‚Cyber‘ in Cyberculture, Cyborg und Cyberpunk sowie dem sternengleichen Aufstieg des Deleuze, mit seinem „Werden“, die sich im Biokapital, der Biopolitik und eben im Biopunk wiederfinden lassen.

McQueen folgt in der Arbeit den vom ihm vorgegebenen Bewegungen, analysiert eine Vielzahl zentraler Werke und legt so einen Bezug der Science-Fiction auf die Entwicklungen des Kapitalismus offen. McQueens Stärken sind dabei seine Sattelfestigkeit in der Philosophie und seine rigorose und teilweise deutliche Kritik an der verbreiteten Lesart der beiden Theoretiker. Er seziert in jedem seiner Kapitel bestehende Deutungen und scheut sich auch nicht, diese mit vollem Gusto als fehlerhaft oder einseitig aufzudecken. Wer allerdings nicht wie McQueen jedes Werk von Baudrillard, Deleuze, Felix Guattari, Slavoj Žižek, Giorgio Agamben, Fredric Jameson, Jacques Derrida, Antonio Negri/Michael Hardt und anderen Theoretiker_innen unserer Zeit verinnerlicht hat, der wird sich oftmals vor den Kopf gestoßen fühlen. McQueens Ausführungen verzeihen keine Wissenslücken, und seine Prosa ist stilistisch seinen Vorbildern angepasst: in Teilen hermetisch, in Teilen zu blumig und sprachschöpferisch.

Hinsichtlich seiner Einzelanalysen kartografiert McQueen in neun Kapiteln den Weg von Cyberpunk zu Biopunk, wobei sich seine Detailschärfe in Sachen kritischer Textarbeit nicht auf die Ebene seines Primärkorpus übertragen lässt. So führt er seine Cyberpunk-Werkanalysen in Kapiteln zu Anthony Burgess A Clockwork Orange (1962), David Cronenbergs Videodrome (1983), J.G. Ballards Crash(1973) und schließlich Ray Bradburys Fahrenheit 451 (1953) und George Orwells Nineteen Eighty-Four (1949) durch. Kenner_innen der Science-Fiction werden bei dieser Liste stutzen, werden diese Werke abgesehen von Videodrome typischerweise nicht als Cyberpunk klassifiziert. Und tatsächlich kann McQueen nicht überzeugend darlegen, inwiefern Genre hier notwendiger Bestandteil seines Diskurses ist – in der psychoanalytisch-marxistischen Melange seiner Lesarten spielen Genreüberlegungen kaum eine Rolle.

In seinem zweiten Abschnitt zum Biopunk ist McQueens Auswahl an Primärwerken zwar auch nicht unanfechtbar, doch finden hier mit Vincenzo Natalis Splice (2009), Brandon Cronenbergs Antiviral (2012), Kazuo Ishiguros Never Let Me Go (2005) und dem weniger bekannten Roman Repossession Mambo (2009) von Eric Garcia wenigstens allgemein als Biopunk anerkannte Werke eine Analyse. McQueens historische Verortung von Karel Čapeks R.U.R. (1921) als „foundational biopunk text“ (S.160) lässt sich allerdings in Frage stellen. Auch problematisch mag sein, dass die Analysen nur wenig auf die Medialität der Werke eingehen und somit Theaterstück, Romane und Filme auf einer gemeinsamen analytischen Ebene stehen, ohne jeweilige Spezifika in der Vermittlung in Betracht zu ziehen.

Deleuze and Baudrillard ist eine intensive Auseinandersetzung mit den Arbeiten der beiden im Titel genannten Theoretiker und kann in den Deleuze Studies sicher für Aufsehen sorgen. Im Bereich der Medienwissenschaft, aber auch für Forschende in den Science-Fiction-Studies ist das Buch hingegen nicht immer schlüssig. Gerade die Sperrigkeit der theoretischen Basis und die Weigerung McQueens, die Konzepte der Analyse deutlicher zu klären, dürfte es Nicht-Deleuzianer_innen erschweren, das Werk fruchtbar zu machen. Dabei ist das Thema des Biopunk, als Zeichen einer sich verändernden Haltung des Kapitalismus, eines sich ausweitenden Posthumanismus oder auch als Verkörperung eines „becoming-minoritarian“, (McQueen, S. 33) also einer Haltung jenseits mehrheitlicher Subjektpositionen, wie Deleuze und Guattari es in Tausend Plateaus artikuliert haben, sicher von zentraler Bedeutung für die heutige Medien- und Kulturwissenschaft.

Sean McQueen: Deleuze and Baudrillard: From Cyberpunk to Biopunk

Edinburgh: Edinburgh UP 2016 (Plateaus: New Directions in Deleuze Studies), 277 S., ISBN 9781474414371, GBP 24,99


Im Original erschienen in MEDIENwissenschaft.

“Sean McQueen: Deleuze and Baudrillard: From Cyberpunk to Biopunk.” MEDIENwissenschaft 1 (2018): 45-47.

Hier der Download als PDF >>> Schmeink Lars – McQueen Review

Link zur Archivseite der MEDIENwissenschaft