Von Diversität, Intersektionalität und Repräsentation: Politische Dimensionen der Fantastik
Vortrag auf dem PAN Branchentreffen in Köln, gehalten am 19.04.2018 als Impuls zur Diversität in der Fantastik vor einer Paneldiskussion zum Thema „Rassismus – Sexismus – Homophobie – welche Verantwortung hat die Phantastik?“ — Angesichts der Twitterdiskussionen im Nachgang und der notwendigen Auseinandersetzung habe ich mich – entgegen meiner normalen Praxis – dazu entschlossen den Entwurf meines Vortrags hier einzustellen.
Eine Annäherung
Vielen Dank für die Einladung und ich freue mich sehr hier zu sein. Wenn ich darüber sprechen soll, welche Rolle Diversität und Repräsentation in der Fantastik haben, dann sollte ich vielleicht klarstellen, wie es um meine eigene Position steht. Wäre das Leben ein Videospiel – ein MMORPG vielleicht –, dann würde ich auf der leichtesten Schwierigkeitsstufe spielen – denn ich bin weiß, ich bin männlich und ich bin heterosexuell. Die Idee zu diesem Vergleich stammt von John Scalzi, der damit zwar recht flapsig aber treffend beschreibt, wie die westlich Gesellschaft Normen setzt. Ja, es gibt andere Faktoren wie Bildung, Reichtum, Charme, Aussehen etc. die das Verhalten anderer mir gegenüber bestimmen – aber im Grunde werde ich in Deutschland nicht dafür diskriminiert, dass ich männlich, weiß und heterosexuell bin. Ob CSU Politiker oder Oma von nebenan, ich falle den Menschen zumindest dafür nicht weiter negativ auf.
Setting: One Level Up!
Ändere ich aber das Setting in meinem Game, dann sieht das schon anders aus. So wurde am Beispiel von Noah Becker klar, dass bestimmte Menschen einem anders gegenübertreten, ebenso wie auch am Beispiel von Jerome Boateng vor zwei Jahren. Und diese Einstellung greift nicht nur bei der AfD sondern auch systemisch, wenn man etwa mit einem arabischen Nachnamen eine Wohnung sucht oder auf ein Amt muss. Ebenso ist es schwieriger schwul zu sein – von Anfeindungen durch religiöse Hardliner bis hin zum Staat, der erst seit letztem Jahr und mehr durch Zufall als geplant, die Ehe gleichgeschlechtlicher Paare etabliert hat. Aber zum Beispiel in Sachen Kinderwunsch stehen schwule Männer noch immer vor gewissen gesellschaftlichen Hürden. Und natürlich ist es auch ein anderer Schwierigkeitsgrad als Frau am Spiel „das reale Leben“ teilzunehmen. Von #metoo bis zur Debatte um §219a, vom Gender Pay Gap bis zu Horst Seehofers Männermannschaft im Heimatministerium. Wenn ich auf die Liste derjenigen schaue, die gleich hier sprechen werden, dann bin ich zumindest nicht auf einem „Manel“ – also einem Panel nur mit Männern –, aber ich laufe natürlich Gefahr euch etwas zu „Mansplainen“, also als Mann davon auszugehen, dass ich besser über ein Thema Bescheid weiß, als Frauen deren Erfahrung und Expertise es ist. Genau deswegen möchte ich meine Position klar und deutlich herausstellen – ich spiele auf der leichtesten Schwierigkeitsstufe. Das ist mir bewusst.
Intersektionalität
Dennoch ist es nicht so, dass mir nicht auch an anderer Stelle Widerstand widerfährt – denn die Welt ist eben kein Videospiel und die Dimensionen in denen sich Privileg äußern kann sind vielschichtig. Wie wir hier auf der Grafik erkennen, ist Privileg etwas, das wir alle haben, ebenso wie wir alle an dem einem oder anderen Punkt Widerstand erfahren, vielleicht sogar Unterdrückung. Mit dem Begriff der Intersektionalität bezeichnet man dieses komplexe Geflecht und die Tatsache, dass Unterdrückung in einem dieser Faktoren nicht singulär zu betrachten ist, sondern eben von anderen Faktoren beeinflusst wird. In den USA haben schwarze Feministinnen auf diesen Umstand bereits in den 1970er Jahren hingewiesen und es ist bis heute ein Punkt, der zum Beispiel von Teilen des #metoo übersehen wird. Denn genau beim Thema Intersektionalität wird es schwierig, weil wir die Dinge nicht mehr so schick in binäre Oppositionen pressen können. Es liegt an uns allen, unsere verschiedenen Privilegien anzuerkennen und zu realisieren auf wie vielen Ebenen sie wirken. Am Anfang steht also, dass ICH realisiere, wie viele Privilegien ICH habe. Daraus folgt wie viele Privilegien WIR hier alle haben … und wie WIR damit umgehen.
Systemische Unterdrückung
Und da wird es unangenehm, denn schauen wir nicht nur auf kleine private Entscheidungen, sondern darauf wie wir selber in einem System agieren, dann stellen wir fest, dass wir ganz leicht und ganz schnell unsere Privilegien nicht wahrnehmen und entsprechend rassistisch, sexistisch, klassistisch oder anderweitig unterdrückend handeln. Es geht mir nicht um individuelle Handlungen, es geht darum, dass wir alle zumindest fahrlässig in einem unterdrückenden und ungleichen System mitmachen. Die Psychologin und Rassismus-Forscherin Dr. Beverly Tatum hat systemische Unterdrückung sehr eindrucksvoll mit einem „moving walkway“ verglichen, also so einem Transportband wie es an Flughäfen schnelles Fortkommen zu Fuß ermöglichen soll (hier der Originaltext). Das Band stellt das System dar (also gesellschaftliche Strukturen und Institutionen) und wir alle sind darauf unterwegs. Individuell und aktiv genutzte Unterdrückung ist es, die Bewegung des Bandes anzunehmen und in Fahrtrichtung zu laufen, um daraus Vorteile zu erlangen. Systemische Unterdrückung entsteht aber eben auch, wenn ich einfach nur stehenbleibe und mich vom Band tragen lasse. Wenn ich wegschaue oder denke, so schlimm ist es doch bei uns gar nicht. Wenn ich willentlich oder fahrlässig ignoriere, dass das Band sich von selbst immer in die selbe Richtung bewegt. Ich muss diese Bewegung erkennen und aktiv und bewusst dagegen an arbeiten … ich muss mich umdrehen und gegen das Band anlaufen.
Fantastik?
Und was hat das jetzt mit der Fantastik zu tun? Und mit den hier anwesenden Schreibenden und Verlagsmenschen – und den Lesenden? Naja, zum einen ist auch die Fantastik Teil des Systems, auf den ersten Blick ein bisschen bunter und manchmal schön schräg quietschend, aber genauso ein Teil des Transportbands. Aber: sie ist auch eine Möglichkeit über eine Welt jenseits des Transportbandes nachzudenken. Die Fantastik ermöglicht es uns, freier in „was wäre wenn“ zu verfallen, sie erlaubt uns Gedanken auszuleben, die sonst an zu viel Realität scheitern mögen. Wo also, frage ich euch, wenn nicht in der Fantastik sollten wir Unterdrückung abwerfen und Freiräume für Dinge jenseits der Norm finden? Wo sollte es besser möglich sein, auf Gendernormen zu verzichten, verschiedene Ethnien zu repräsentieren und all die Dinge als normal zu zeigen, die es in der Realität nicht als normal wahrgenommen werden?
Mit gutem Beispiel voran…
Doch wir laufen Gefahr, die systemische Unterdrückung zu übersehen, wenn wir uns nicht bewusst damit auseinandersetzen. So hat die afro-amerikanische Autorin N. K. Jemisin mit Ihrer „Inheritance“-Trilogie ein Werk geschaffen, das sich mit dem Zusammenleben verschiedener Ethnien beschäftigt. Wie sie selber in einem Interview mit der New York Times sagt, geht es ihr in ihren Werken um die Frage von Identität und Zugehörigkeit. Ihre Protagonistin Yeinne Darr ist eine Frau, die angesichts ihrer Hautfarbe und Herkunft in der Gesellschaft, in der sie lebt ausgeschlossen ist. Der Roman handelt also von systemischer Unterdrückung, vom Konflikt des Anderen mit einer normierten Gesellschaft.
… und doch verkehrt herum.
Was also ist passiert, dass der deutsche Verlag das Buch mit diesem Cover verkauft? Ich will mit diesem Beispiel nicht unterstellen, dass hier jemand rassistische Motive hatte und absichtlich ein „Whitewashing“ angeordnet hat. Nein, vielmehr wird hier ein verlegerischer Mechanismus gegriffen haben: Die Grafikabteilung hat den Auftrag bekommen ein Cover für einen Fantasy-Roman zu erstellen, der eine weibliche Hauptfigur hat. Und genau das hat die Grafik gemacht, innerhalb eines rassistischen Systems, das als Norm eben weiße Haut setzt. Protagonisten in Fantasy-Romanen sind für uns hier in Deutschland weiß, außer wir werden explizit darauf hingewiesen, dass dem nicht so ist. Das Problem dieses Covers ist also, dass niemand bemerkt hat, dass sich der „moving walkway“ in eine bestimmte Richtung bewegt, und dass niemand sich aktiv umgedreht hat.
Gesellschaftliche Resonanz
Wie solche Entscheidungen in ein spezifisches gesellschaftliches Klima eingebunden sind zeigt sich auch an der Diskussion um Dumbledore im zweiten Teil der Fantastische Tierwesen-Reihe. Nachdem Rowling 2007 behauptet hatte, Dumbledore sei homosexuell, das sei nur niemals in den Büchern thematisiert worden, ruderte der Regisseur des aktuellen Werks David Yates massiv zurück – auch im Film werde das Thema nicht explizit dargestellt, die Fans seien sich dessen zwar bewusst, aber zeigen müssen man das nicht. Und zu recht sieht sich die LGBTQ Gemeinde hier getäuscht oder zumindest benachteiligt. Als eine zentrale Figur eines so berühmten Franchises wäre die Repräsentation von Dumbledore als offen schwul lebendem Mann ein wichtiges Zeichen, dass sich aber Rowling und Yates aktuell nicht umzusetzen trauen.
Völkerfantasy
Gerade die Fantasy könnte aber Zeichen setzen, wenn wir bereit sind uns von den Vorgaben zu lösen, die so lange das Genre geprägt haben. Urvater J. R. R. Tolkien hat mit dem Herrn der Ringe eine Welt geschaffen, in der Elfen, Zwerge und Menschen zusammenarbeiten und somit für Gemeinschaft und Solidarität stehen, doch seine Beschreibungen dieser „Völker“ lassen selbst auch Diversität vermissen. So wundert es nicht, dass für Peter Jackson alle Elfen einem ethnischen Muster entsprechen, während die einzig dunkle Haut den Uruk Hai überlassen bleibt. Wer Völkerfantasy schreibt, sollte sich bewusst sein, wie verschiedenartig die Einzelnen eines Volkes sind. Die Zeichnung aller Mitglieder eines Volkes als exakt gleich ist rassistisch – wobei ich hier vermute, dass Jackson das hier aufgrund von Hollywood Standards deutlicher verstärkt, stärker zumindest als es Tolkien im Original umgesetzt hat.
Da geht was
Das wir dank der Fantastik viel über uns lernen können, gerade auch wenn wir unsere Verschiedenartigkeit und das Fremdartige im Gegenüber akzeptieren, zeigen aktuelle Beispiele sowohl in der Literatur, als auch im Film. Naomi Aldermans Roman Die Gabe verschiebt die Machtverhältnisse der Geschlechter und zeigt abseits von Genderklischees, wie viel Konflikt zwischen uns herrscht. Colm McCarthys Verfilmung von M. R. Careys Roman Die Berufene beweist welches Potential der Veränderung darin liegt, einen weißen Charakter schwarz zu besetzen und zeigt in Melanie einen Willen zum radikalen Wandel der Machtverhältnisse. Und schließlich belegt Black Panther nicht nur die Wichtigkeit der Repräsentation Afrikas und seiner Einwohner, sondern zudem noch die Möglichkeit eine Vielzahl unterschiedlichster und vielschichtiger Frauencharaktere auf die Leinwand zu bringen. Die Diversität dieser Fantastik ist ihre absolute Stärke. Vielen Dank …